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1990 - Der Silberwolf

Titel: 1990 - Der Silberwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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ausladenden Hinterkopf an der Wand und starrte durch sie hindurch. Unmittelbar neben ihm lagen zwei Wlatschiden und murmelten Gebete in Algisch. „Durchkämmt das Gebäude und seht nach, ob ihr ein paar Wlatschiden findet, die bei klarem Verstand sind!" trug Ganzetta den Soldaten auf. Der Silberwolf schaltete die Antigravfunktion des Einsatzgürtels ein und ließ sich im Treppenhaus nach oben tragen. Seine schwache Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Wlatschiden in den Räumen und auf den Korridoren zeigten ohne Ausnahme dieselben Symptome. Sie waren nicht mehr bei Verstand.
    Die Algioten hatten ihren Geist und ihre Psyche gebrochen, und dabei hatten sie keine Rücksicht auf Verluste genommen.
    Jetzt begriff Ganzetta endgültig, dass er in diesem Gebäude keinen gesunden Wlatschiden antreffen würde. Es war grotesk. Überall begegneten ihnen friedliche Algioten und tobende, gefährliche Wlatschiden. Im Vhaust-System hatten sich Ursache und Wirkung ins Gegenteil verkehrt und eine bizarre, unwirkliche Situation geschaffen.
    Vor Ganzettas innerem Auge entstand das Bild seines lebenslustigen Freundes Geranet mit dem eindringlich blauen Nackenpelz, der ihm etwas Diabolisches verlieh. „Ich werde dich finden, Geranet", knurrte er entschlossen. „Irgendwo auf diesem Planeten."
    Die Kuppel empfing ihn mit breitgefächerten Lichtstrahlen in Regenbogenfarben. Die trapezförmigen Glasflächen der selbsttragenden Konstruktion gewährten Ausblick auf einen makellos blauen Himmel und gaukelten dem Wlatschiden eine friedliche Welt ohne Probleme vor. Ganzettas Kehlkopf produzierte ein Trillern, wie sie es in ihrer Jugend als Erkennungszeichen benutzt hatten. Die Kuppel warf ein sechsfaches Echo zurück. Die erwartete Antwort des Freundes blieb allerdings aus. „Geranet, hier ist Ganzetta!" Der Silberwolf wiederholte den Ruf und machte sich auf die Wanderung durch das Areal. Die Wände der Räume ragten bis zu vier Meter in die Höhe. Decken hatten die Baumeister keine eingezogen. Um Regen und Wind fernzuhalten, genügte die Kuppel hoch darüber.
    Aus den Augenwinkeln heraus nahm der Wlatschide eine Bewegung am Ende des Korridors wahr. Es handelte sich nicht um einen Algioten, wie er zuerst vermutet hatte, sondern um einen seiner Artgenossen. Auf allen vieren kroch ihm der Wlatschide entgegen. Staubgrauer Pelz umrahmte sein Gesicht und ging im Nacken in ein hässliches, krankes Gelb über. Die Kleidung hing ihm in Fetzen am Leib, und der Gestank eilte ihm etliche Meter voraus.
    Ganzetta verließ die Deckung und ging ihm entgegen. „Du bedauernswerter Kerl", sprach er ihn an. „Wie kann ich dir helfen?" Die stumpfen, halb blinden Augen des Kranken rollten. Er stieß ein Gurgeln aus und spuckte grünen, schmierigen Speichel. „Icchto weist uns den Weg in das Paradies", verstand Ganzetta undeutliche Worte in dem Gesabbere. „Gaintanu ist die Allmacht, die Weisheit und die Allgegenwart. Er schenkt allen, die an ihn glauben, die Unsterblichkeit."
    Dem Wlatschiden war nicht mehr zu helfen. Er konnte sich kaum noch abstützen. Die Haut seines Gesichts trocknete zusehends aus und blätterte ab.
    Dennoch blieben gewisse Charakteristika erhalten, die der Admiral der Wlatschiden seit Jahren kannte. Ganzettas Herz stand einen Augenblick still.
    Fassungslos starrte er seinen alten Freund an. „Geranet!" ächzte er. Dann schrie er es. „Geranet!" Der Sterbende richtete sich ächzend auf. „Gaintanu ruft mich. Ich muss gehen."Jetzt konnte der Wlatschide sich nicht mehr beherrschen. Er packte den Liegenden und hob ihn vorsichtig hoch. „Erkennst du mich nicht?" fiepte er mit bebender Stimme. „Ich bin es, Ganzetta." Die stumpfen Augen des Mannes hörten auf zu rollen. Sie erstarrten ebenso wie sein Körper. „Du bist gekommen", hauchte der Sterbende. „Gaintanu besucht mich. Dem Schicksal sei Dank."
    Der geschwächte Körper sackte in sich zusammen. Ganzetta ließ ihn zu Boden gleiten und bettete den Kopf auf seine Hände. „Ich bin Ganzetta", flüsterte er neben dem Ohr des Freundes. „Wir haben den schönsten Teil unseres Lebens gemeinsam verbracht. Erinnere dich, Geranet!" Die Augen des Sterbenden suchten den Sprecher, fanden ihn jedoch nicht. „Geranet?" seufzte er. „Wer ist das?"
    „Du bist das. Und ich bin Ganzetta, dein Freund."
    „Nein, nein." Die Stimme verlor ihre letzte Kraft. „Ich bin Gaintanu, nicht Geranet." Der Kopf sank endgültig zurück. Ein Zittern durchlief den Körper, dann lag er für immer still.

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