1Q84: Buch 3
triumphierend. Der Kahle wartete geduldig darauf, dass er fortfuhr.
»Letzten August ist eine junge Polizistin aus ebendiesem Revier in einem Love Hotel in Shibuya-Maruyama tot aufgefunden worden. Erdrosselt. Splitternackt und mit ihren eigenen Handschellen gefesselt. Natürlich war das ein Riesenskandal. Aomames Telefonate mit diesem Revier konzentrieren sich auf einige Monate vor diesem Ereignis. Danach fand kein einziges mehr statt. Was meinen Sie? Ist das nicht ein seltsamer Zufall?«
Onda schwieg eine Weile. »Sie meinen also, die Person, mit der Aomame telefoniert hatte, könnte die ermordete Polizistin gewesen sein?«
»Sie hieß Ayumi Nakano und war sechsundzwanzig Jahre alt. Ein hübsches Ding. Ihr Vater und ihr älterer Bruder sind ebenfalls bei der Polizei. Ayumi galt als ausgezeichnete Polizistin. Ihre Kollegen ermitteln natürlich, aber den Mörder haben sie bisher nicht gefunden. Entschuldigen Sie die Frage, aber wissen Sie vielleicht Näheres darüber?«
Onda blitzte Ushikawa mit seinen harten, kalten Gletscheraugen böse an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er schneidend. »Denken Sie vielleicht, wir hätten etwas mit diesem Verbrechen zu tun, Herr Ushikawa? Jemand von uns hätte diese Polizistin in ein zwielichtiges Hotel gelockt, mit Handschellen gefesselt und erwürgt?«
Ushikawa schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Aber nein, das ist doch absurd. So etwas würde ich niemals denken. Ich wollte wirklich nur fragen, ob Sie etwas darüber wissen, mehr nicht. Irgendetwas. Denn jede auch noch so kleine Spur könnte wertvoll sein. Sosehr ich mir auch den Kopf zerbreche, ich komme einfach auf keinen Zusammenhang zwischen dem Tod der Polizistin in dem Love Hotel in Shibuya und dem Mord an Ihrem Leader.«
Onda musterte Ushikawa abschätzig. Langsam stieß er den angehaltenen Atem aus. »Also gut«, sagte er. »Ich werde Ihren Bericht nach oben weiterleiten.« Er nahm ein Heft hervor und machte sich Notizen. »Ayumi Nakano. 26 Jahre alt. Shinjuku Verkehrspolizei. Eventuell Beziehung zu Aomame.«
»Genau.«
»Noch etwas?«
»Ja, eine Sache möchte ich unbedingt noch wissen. Irgendjemand aus Ihrer Gemeinschaft muss Aomame doch ins Gespräch gebracht haben. Wer hat als Erster erwähnt, dass in Tokio eine kompetente Trainerin und Stretching-Expertin dieses Namens lebt? Später war ich – Sie sagten es bereits – damit betraut, sie und ihr Umfeld zu durchleuchten. Ich will mich gar nicht herausreden, aber ich bin, wie es meine Art ist, der Sache sehr gewissenhaft nachgegangen. Dennoch habe ich keinerlei Ungereimtheiten oder Verdachtsmomente entdeckt. Sie war durch und durch sauber. Daraufhin haben Sie sie in die Suite im Hotel Okura bestellt. Was dann geschah, wissen wir. Aber wer hat Ihnen diese Frau eigentlich empfohlen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie wissen es nicht?« Ushikawa zog ein Gesicht wie ein Kind, das ein unverständliches Wort gehört hat. »Jemand aus dem inneren Kreis Ihrer Gemeinschaft hat Aomame erwähnt, und Sie können sich nicht erinnern, wer das war? Im Ernst?«
»So ist es«, sagte Onda mit unbewegter Miene.
»Das ist doch sehr verwunderlich«, sagte Ushikawa in einem Tonfall, der deutlich machte, wie sehr es ihn verwunderte.
Onda schwieg.
»Äußerst rätselhaft, finden Sie nicht? Plötzlich taucht irgendwann wie aus dem Nichts ihr Name auf. Sie hat sich quasi von selbst empfohlen?«
»Offen gesagt war es der Leader, dem von Anfang an sehr an dieser Begegnung gelegen war.« Onda wählte seine Worte mit Bedacht. »Tatsächlich waren innerhalb der Führung einige der Ansicht, dass es nicht ungefährlich sei, sich auf diese Weise in die Hände einer Unbekannten zu begeben. Und als seine Leibwächter teilten wir diese Meinung natürlich. Aber der Leader selbst machte sich da gar keine Gedanken. Er bestand ganz einfach darauf.«
Ushikawa nahm wieder sein Feuerzeug zur Hand, öffnete den Deckel und zündete es an, als wolle er es ausprobieren. Dann schloss er es sofort wieder.
»Soweit ich weiß, war Ihr Leader ein äußerst umsichtiger Mensch«, sagte er.
»Das stimmt. Er war extrem aufmerksam und immer auf der Hut.« Tiefes Schweigen folgte.
»Ich möchte noch etwas fragen«, sagte Ushikawa. »Es geht um Tengo Kawana. Er hatte eine Affäre mit einer älteren verheirateten Frau. Sie kam einmal in der Woche zu ihm in die Wohnung, um intim mit ihm zu sein. Wenn man jung ist, kann so etwas ja mal vorkommen. Doch eines Tages erhielt Herr Kawana
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