Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Rührung oder gar mit Tränen kämpft. Und da teilte sich die Wolke; der Dicke schob sich zu mir her und rief, in ein plötzliches Weinen ausbrechend, wobei er mir den ganzen Qualminhalt seines Mundes ins Gesicht blies:
    „Emir, mein Effendi weint! Das hat er noch nie getan, seit ich ihn kenne. Das kann ich nicht mit anhören; das halte ich nicht aus! Sag mir, ob es ihm schaden wird!“
    „Sorge dich nicht um ihn!“ antwortete ich. „Tränen mildern jedes Leid; sie werden ihm eine Wohltat sein.“
    „Aber mir nicht! Du mußt doch einsehen, daß seine Tränen mein Leid nicht mildern, sondern vergrößern! Mir laufen ganze Wasserbäche über die Wangen und fließen in mein Inneres, so daß mein Herz auf ihnen schwimmt. Du hast mit deinen Worten nicht nur ihn, sondern auch mich zu Tränen gerührt. Kann es denn wirklich eine Liebe geben, welche so groß ist, wie du sie beschriebst?“
    „Ja, lieber Kepek, es gibt eine solche.“
    „Lieber Kepek, hast du gesagt? Emir, so hat mich noch niemand genannt als nur mein Effendi, und auch dieser bloß ein einziges Mal! Lieber Kepek! Ich habe viele Christen, die ich kannte, hassen müssen, denn sie besaßen keine Spur von Liebe; aber in der Weise, in welcher du von ihr sprichst, kann doch nur ein Christ von ihr reden. Nicht?“
    „Ja. Die Christen, welche keine Liebe besaßen, nannten sich nur so, waren aber keine.“
    „Sie stellten sich aber außerordentlich fromm, diese Armenier mit Habichtsnasen und diese Griechen und Levantiner mit den listigen Augen, welche auf nichts als nur auf ihren Geldbeutel sahen. Allah setze ihnen einen Hut auf den Kopf! Doch da kommt mein Effendi wieder!“
    Er schob sich auf seinen Platz zurück. Die soeben gehörte Redensart vom Hut ist eine im Orient sehr gebräuchliche; sie wird, da die Mohammedaner nie Hüte tragen, nur gegen Christen gerichtet und hat eine sehr verächtliche Bedeutung.
    Der Bimbaschi kehrte zu uns zurück. Als er sich wieder niedergesetzt hatte, bat er:
    „Erlaube, Effendi, daß wir unser Gespräch jetzt nicht fortsetzen! Und fordere auch nicht von mir, dir zu sagen, warum ich diesen Wunsch hege! Willst du?“
    Ich verstand ihn nur zu wohl. Es war etwas in ihm erstanden, was unberührbare Heiligkeit für ihn besaß. Es begann in seinem Innern ein Altar emporzuwachsen, vor welchem nur seine eigene Seele anbetend knien durfte. Weitere Einwirkung meinerseits hätte als Entweihung wirken können. Darum antwortete ich:
    „Du kommst meinem Wunsch mit dem deinigen zuvor. Auch ist der Abend vorgeschritten. Laß uns schlafen gehen!“
    „Nein, das noch nicht, noch lange, lange nicht! Wenn es auf mich ankommt, so erwarten wir hier den Morgen. Bedenke, daß ich hier in tiefster Einsamkeit lebe und deine Anwesenheit also soviel wie möglich ausnützen und genießen muß! Du warst am Nachmittag noch nicht entschlossen; aber jetzt kannst du mir vielleicht sagen, wie lange ihr in Bagdad bleiben werdet.“
    „Wir reiten morgen fort – – –“
    „Allah! So bald schon?“ unterbrach er mich.
    „Ja.“
    „Effendi, ich bitte dich, mir dies nicht anzutun!“
    „Du hast mich nicht aussprechen lassen. Ich wollte sagen, daß wir morgen fortreiten, aber dann bald wiederkommen.“
    „Das klingt schon besser. Aber warum schon morgen wieder fort? Ihr müßt doch von der Reise ausruhen?“
    „Im Gegenteil: wir müssen uns Bewegung machen. Wir haben während der ganzen Fahrt auf dem kleinen Kellek sitzen müssen, und wenn wir auch nicht sagen wollen, daß uns das ermüdet hat, so müssen wir doch Rücksicht auf unsere Pferde nehmen. Diese feurigen Tiere sind zu immerwährendem Stillstehen gezwungen gewesen, und du als Kenner wirst wissen, daß wir sie nun nicht auch hier bei dir noch länger stehen lassen dürfen.“
    „Das gebe ich zu; aber ihr könnt ihnen doch einen tüchtigen Spazierritt bieten!“
    „Wir haben Gründe, dies nicht zu tun. Ich sagte dir schon, daß wir uns vor Feinden hüten müssen. Zwar fürchten wir uns keineswegs, aber es ist stets besser, ein Übel zu vermeiden, als es herbeizurufen.“
    „Wer sind diese Feinde, und wohin wollt ihr reiten?“
    „Nach dem Birs Nimrud. Wir haben, nachdem wir dich damals verlassen hatten, dort eine so schlimme, schwere Zeit verlebt, daß uns die betreffenden Örtlichkeiten für das ganze Leben unvergeßlich geworden sind. Wir wollen also, da wir in Bagdad sind, wieder hin, um sie zu besuchen.“
    „Eine schlimme, schwere Zeit sagst du. Welche Erlebnisse sind das gewesen?

Weitere Kostenlose Bücher