2008 - komplett
standen sich gegenüber, während sich die beiden Familien in der Mitte trafen. Joan sah, dass sich Lady Ellen und Lady Blanche mit der gleichen Vorsicht voreinander verbeugten, die auch die Männer beider Seiten walten ließen.
Dann teilten sich die Reihen der de Graves’, und durch den somit entstandenen Korridor kamen sechs Mönche, die das Tedeum sangen. Die zwei vorderen trugen das Banner, das über eine schlichte Stange gelegt war. Unmittelbar vor ihr saß Lord Henry von seinem Pferd ab und kniete sich hin. All seine Männer folgten seinem Beispiel, und dann knieten die Männer der de Graves’ nieder.
Unwillkürlich schaute sie zu Edmund, aber der hatte sich schon hingekniet, sodass sie nicht erkennen konnte, wie mühsam es für ihn gewesen war.
Die Mönche betraten die Kapelle, die Männer erhoben sich, halfen den Frauen vom Pferd, dann folgten beide Familien den Mönchen. Die Luft schien vor Anspannung und drohender Gefahr zu knistern. Joan sah, dass all ihre Cousins eine Hand am Schwert hielten, Edmund und Gerald dagegen nicht.
Beim Bau der Kapelle war gute Arbeit geleistet worden. Sie war schlicht, aber robust konstruiert, und in die tragenden Pfeiler und Balken waren Kreuze geschnitzt worden. Die Wände hatte man weiß gestrichen, und durch hohe Fenster fiel Licht ins Innere. Zwar ließen sie auch Kälte hinein, doch das ließ sich nicht ändern. Zudem ermöglichten sie denjenigen, die sich draußen aufhielten, etwas von den Ereignissen mitzubekommen, was zweifellos klug gewesen war.
An der Wand hinter dem Altar hatte man einen Rahmen vorbereitet, in dem das Banner hängen konnte. Davor befanden sich Türen in der Art von Fensterläden, die geschlossen werden konnten, um das Tuch bei schlechtem Wetter zu schützen. Die Mönche platzierten das Banner dort und knieten davor nieder.
Jemand musste eine Art Zeremonie vorbereitet haben, denn nun gingen Lord Henry und Edmund nach vorn und knieten sich zwischen den Mönchen hin. Edmund schonte immer noch sein Bein, aber es schien ihm keine allzu großen Probleme mehr zu bereiten.
Ein Mönch drehte sich zur Seite und hielt ihnen ein Kruzifix hin. Erst schwor Edmund, das Banner zu bewachen, es niemals zu entfernen und die Fehde zu beenden und allen Groll, den er noch hegen mochte, zu vergessen, dann sprach Lord Henry die gleiche Formel, die auch ihre Familie und ihre Erben in die Pflicht nahm.
Als sie wieder aufstanden, hatte sich eine Stille breitgemacht, die den Eindruck erweckte, als könne niemand so recht glauben, dass dies hier tatsächlich geschehen war. Dann begann der eine oder andere zaghaft zu lächeln, jemand lachte laut, und schließlich jubelten die Menschen vor der Kapelle begeistert. Tante Ellen und Lady Blanche reagierten mit einem von Herzen kommenden Lächeln.
Lord Henrys Priester trat vor und begleitete Gerald und Nicolette durch die Hochzeitszeremonie und die Ehegelübde, dann segnete er ihre Verbindung.
Während er dann jedoch davon sprach, sie sollten fruchtbar sein und sich mehren, zuckten unwillkürlich seine Augenbrauen in die Höhe. Nicolettes Gesicht lief rot an.
Als die beiden Hand in Hand die Kapelle verließen, konnte nichts mehr ihr Glück trüben. Allen erfreulichen Entwicklungen zum Trotz hatte keine der Familien sich jedoch dazu durchringen können, die Hochzeitsfeier in einer der beiden Burgen stattfinden zu lassen. Daher wurde das Essen auf langen Tischen angerichtet, dazu wurden Fässer mit Ale bereitgestellt, sodass alle nach Herzenslust speisen und trinken konnten.
Joan knabberte an einem Stück Schweinefleisch und betrachtete die spielenden Kinder und die Erwachsenen, die sich miteinander unterhielten. Obwohl sie sich selbst nicht als glücklich bezeichnen konnte, war sie doch mit ihrem Werk zufrieden.
Es fanden sich zwar hier und da noch Spuren von Skepsis, doch die Saat des Friedens war ausgebracht worden. Einen Teil dieser Saat hatte sie beigesteuert, und die Ernte versprach besonders reich zu werden.
Als sich die Damen und Gentlemen bereitmachten, um nach Hause zurückzukehren und die Reste des Fests dem einfachen Volk zu überlassen, betrat Joan die Kapelle, weil sie einen letzten Blick auf das Banner werfen wollte. Ein Mönch war bereits anwesend, um das Relikt zu bewachen, einige Bauern knieten davor und beteten. Sie blieb im hinteren Teil der Kapelle stehen, um sie nicht zu stören. Das Banner war noch immer so mitgenommen und fleckig wie zuvor, dennoch kam es ihr so vor, als sei es an diesem Ort
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