Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
[ Inhalt ]
»Was Sie mich wieder
sagen lassen«
Über die Zigarettengespräche
mit Helmut Schmidt
Mit Helmut Schmidt fast jede Woche ein Gespräch zu führen ist jedes Mal ein Erlebnis. Das beginnt bei den Präliminarien: Die Treffen finden zumeist freitags statt, nach der Politik-Konferenz im Hamburger Pressehaus der ZEIT ; dann macht Helmut Schmidt auf dem Rückweg zu seinem Büro, das am anderen Ende eines schier endlosen Flures im sechsten Stock liegt, Station in der Chefredaktion.
Sein erster Blick gilt stets den Fenstern in meinem Büro, die fast immer aufgeklappt sind. Leise sagt er: »Mach doch bitte die Fenster zu.« Er fürchtet die Geräusche der Straße, weil er nur noch auf dem linken Ohr hört, und auch das nur eingeschränkt. Er bittet um eine Tasse Kaffee mit viel Milch und sehr viel Zucker, nimmt auf einem Drehstuhl Platz, legt eine Packung Reyno Menthol auf den Tisch (man wundert sich immer wieder, dass es die noch gibt). Dann zündet er sich eine Zigarette an. Will man ihm Feuer geben, wehrt er ab: »Lass mal, hab ich selber.« Bald holt er sein Döschen Schnupftabak aus dem Jackett, nimmt eine erste Prise. Schmidt kommt allmählich auf Betriebstemperatur.
An diesem Ritual änderte sich auch dann nicht viel, wenn ich Helmut Schmidt ausnahmsweise nicht inmeinem, sondern in seinem Büro bei der ZEIT oder im Arbeitszimmer seines Bungalows in Hamburg-Langenhorn interviewte.
Schmidt fällt aus jeder Norm, das gilt beileibe nicht nur für seinen Nikotin- und Koffeinkonsum und nicht einmal ausschließlich für sein einzigartiges Urteilsvermögen und seine Themenbreite. Schon wenige Wochen nach dem Start der Serie im neu gegründeten ZEIT -Magazin redete er so, als sei das Kurzinterview für ihn die selbstverständlichste Gesprächsform der Welt. Zugleich aber brauchte er lange, um sich mit der Idee eines solchen Interviews wirklich anzufreunden, und ein Rest Misstrauen blieb bis zum letzten Gespräch. »Was Sie mich wieder sagen lassen«, murmelte er nach unseren ersten Treffen sanft tadelnd, wenn er den Raum verließ, und meinte damit vor allem die Kürze der Antworten, die dieses Format ihm abnötigte, auch wenn es um ausgesprochen schwierige Themen ging. Und in seinem Buch »Außer Dienst« gesteht der Altkanzler inmitten eines medienkritischen Abschnittes fast entschuldigend ein, dass die Zigarettengespräche ja auch der Unterhaltung dienten.
Das Publikum hatte gegen diese Art der Unterhaltung nichts einzuwenden: Die Idee meiner ZEIT -Kollegen Christoph Amend und Matthias Naß (der auch drei der in diesem Band abgedruckten Gespräche geführt hat) funktionierte glänzend. In Scharen bekundeten Leserinnen und Leser, dass sie die Lektüre der ZEIT auf der letzten Seite des Magazins begännen, dort, wo »Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt« insgesamt neunzig Mal erschienen ist. Derlei Wirkung blieb auch ihm nicht verborgen, er wurde ja in seinem Freundeskreis darauf angesprochen.
So fügte er sich langsam in das Frage- und Antwort-Spiel, voller Loyalität gegenüber der ZEIT -Redaktion, die sich wünscht, möglichst viel Helmut Schmidt im Blatt zu haben. Mit viel Sprachgefühl, auch pointensicher, machte er sich jedes Mal an die Bearbeitung der Interviews, die ich ihm zur Autorisierung vorlegte. Die Entschiedenheit seiner Meinung indes schwächte er nur ganz selten ab.
Vielleicht liegt darin auch der wichtigste Grund für den Erfolg der Gespräche, überraschenderweise gerade bei jungen Leuten: Hier leistet sich jemand noch eine Meinung – auch auf die Gefahr hin, selbst seine Anhänger gelegentlich vor den Kopf zu stoßen. Auf die Frage, ob er nicht allein deswegen das Rauchen in der Öffentlichkeit einstellen müsste, weil er für viele Menschen in Deutschland ein Vorbild sei, antwortete er: »Politiker sollen auf ihrem Felde Vorbild sein, aber nicht auf sämtlichen Feldern menschlichen Lebens. Das ist zu viel verlangt.« (Siehe Seite 123) Er selbst würde das große Echo wahrscheinlich anders interpretieren, amüsiert auf seine »schönen weißen Haare« verweisen, was aber etwas Ähnliches meint: Die Sehnsucht nach Leitfiguren, denen man noch vertrauen darf, ist in Deutschland unermesslich groß. Keiner scheint sie so sehr zu erfüllen wie Helmut Schmidt.
Im Übrigen gesteht er auch seinen Gesprächspartnern die Freiheit der Meinung zu. Nie hat er mir eine Frage übel genommen, gelegentlich aber sehr heftig widersprochen. Viel schlimmer war es, wenn er auf eine Frage erst einmal eine
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