2011 - komplett
ihr noch mehr Kummer zu bereiten.
Er blinzelte. Seine Lider fühlten sich plötzlich so schwer an, dass er sie kaum offen halten konnte. Die Sorge um ein Bett für die Nacht war auf einmal von entscheidender Wichtigkeit. Sollte sie doch ihren verdammten Laden behalten. Ihm persönlich ging es nur um den Aristoteles.
Behutsam schüttelte er den Kopf, um die seltsame Trübheit zu vertreiben. „Schön, Sie dürfen als meine Pächterin bleiben, wenn Sie es wünschen. Ach, zum Teufel mit der Pacht, ich überschreibe Ihnen die Buchhandlung wieder, vorausgesetzt Sie ...
überreichen mir das Buch. Den Aristoteles“, stellte er klar, während ihm voller Verblüffung bewusst wurde, wie schwer ihm plötzlich das Sprechen fiel.
Ihre Miene verfinsterte sich noch mehr. „Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, Sir, dass Sie Ihre lange Reise umsonst unternommen haben. Dieses spezielle Buch ist nicht verkäuflich.“
Seine Sehkraft, für gewöhnlich gerade bei Nacht besonders scharf, wurde, wie es schien, von Moment zu Moment immer trüber. Er beugte sich vor und fasste Miss MacPherson, so gut er vermochte, ins Auge. „Glücklicherweise brauche ich es nicht zu kaufen. Da ich es bereits besitze.“
„Sie irren sich, Sir.“ Sie schnaubte empört und erinnerte ihn einen Augenblick an eine junge vollblütige Stute – die er am liebsten trotz seiner Erschöpfung zähmen würde.
„Dieser besondere Band, Sir, befindet sich in der Privatsammlung meines Vaters, nicht im Inventar der Buchhandlung, und somit haben Sie kein Recht darauf.“ Sie stellte ihr Glas auf das Sofa und erhob sich. „Nun muss ich Sie bitten zu gehen.“
Tobias stand ebenfalls auf. Der Raum drehte sich seltsamerweise um ihn. „Geben Sie mir den Aristoteles, und ich gehe gern.“
Sogar sehr gern, denn jetzt wurde ihm mehr als klar, was nicht mit ihm stimmte.
Miss MacPherson hatte ihn betrunken gemacht! Er tat einen unsicheren Schritt auf sie zu. Doch sein Fuß war wie aus Blei. Er wankte und stieß hart gegen den Sessel.
Sie riss die schönen Augen auf. „Mr Templeton!“
In einem schwachen Versuch, des Schwindelgefühls Herr zu werden, presste Tobias die Hand an den Kopf. „Bin nur ein wenig ...benebelt, mehr nicht. Ich muss mich nur ... hinlegen ...“
„Mr Templeton“, fuhr sie ihn streng an. „Sie können unmöglich die Nacht hier verbringen. Ich habe keine Anstandsdame.“
Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber schon diese geringe Anstrengung genügte, ihn stürzen zu lassen. Miss MacPherson versuchte erschrocken, ihn aufzufangen. „Mr Templeton!“
„Nennen Sie mich Tobias.“ Er war zu schwer für sie. Sie konnte ihn nicht halten, und so glitt er langsam an ihr herab – an ihrem weichen Leib entlang – sodass beide gleichzeitig in die Knie gingen. „Kein Geist ... ganz und gar kein Geist“, flüsterte er noch mit einem langen Blick in ihre wunderschönen Augen. Dann wurde es dunkel um ihn, und er dachte nichts mehr.
Hilflos, die Arme um den bewusstlosen Mann geschlungen, blickte Fiona auf den weißblonden Kopf herab, der auf ihrer Brust ruhte. „Mr Templeton. Mr Templeton!“
Ein leises Schnarchen blieb die einzige Antwort. Der Mann war doch tatsächlich eingeschlafen.
Was zum Kuckuck konnte denn nur geschehen sein? Sie hatte viele Menschen kennengelernt, die nichts vertragen konnten. Addie zum Beispiel verfiel schon nach einigen Tropfen ins Kichern. Aber noch nie war sie jemandem begegnet, noch dazu einem Mann, der so schnell betrunken wurde. Mr Templeton hatte ein einziges Glas getrunken. Abgesehen von seinem impulsiven und sicher recht ... aufwühlenden Kuss auf ihrer Schwelle, war er ihr vollkommen nüchtern vorgekommen – nüchtern und entschlossen, sein verflixtes Buch zu bekommen.
Da sie Mr Templetons schweres Gewicht festhalten musste, fiel es ihr nicht leicht, über die Schulter zu schauen. Aber es gelang ihr, und sie entdeckte, dass die Karaffe mit dem Whisky zu drei viertel leer war. Zu drei viertel leer! Die kleine Menge, die sie ihnen eingeschenkt hatte, hätte den Inhalt der Karaffe kaum verändern dürfen.
Ein Klingeln, eine Mischung aus einem Windspiel und dem leisen Lachen einer Frau, schwebte durch den Raum.
„Das ist nicht komisch, Fern. Ganz und gar nicht komisch.“ Fiona ließ keinen Zweifel an ihrem Unmut. „Falls Sie mich hören – falls es Sie überhaupt gibt –, sollen Sie wissen, dass ich das überhaupt nicht amüsant finde!“
Mühsam schob sie ihre Last etwas von sich und überlegte
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