2011 - komplett
freundlicher, als gut für sie war. Perinwinkle überkam nur leider das ungute Gefühl, dass Claire in den folgenden Jahrzehnten dazu verdammt sein würde, Teekannenwärmer zu häkeln und verschrobene Verwandte zu pflegen. „Mein Schützling steuert direkt und ohne Umwege auf das Los einer alten Jungfer zu, fürchte ich sehr.“
„Und dich zieht sie gleich mit in den Abgrund – zu weiteren hundert Jahren Novizentum“, fügte Rose schaudernd hinzu, und ein wunderhübscher rosa- und fuchsiafarbener Funkenregen bedeckte das Regal um sie herum. „Wenn du ihr bis Schlag Mitternacht am 31. Dezember nicht zu ihrer wahren Liebe verhelfen kannst, bleibst du wieder hundert Jahre ohne Flügel.“
„So wie wir alle.“ Fern runzelte die Stirn, wahrscheinlich in Gedanken an die gemeinsame Frist, die ihnen gesetzt worden war.
Alle drei blickten verstohlen über die Schultern und stellten sich die langen, wunderschönen Flügel vor, das Zeichen dafür, dass sie endlich den Status eines vollwertigen Engels erreicht hatten – und damit eine neue Stufe der Verantwortlichkeit.
„Das Schlimmste ist, dass ich sehr wohl weiß, wer Fionas wahre Liebe ist“, sagte Fern bedauernd. „Schon seit Jahren.“
„Ich auch.“ Rose warf ihrer Adelaide einen Blick voller Zuneigung zu. „Nicht, dass es die Aufgabe erleichtern würde. Er ist so gut wie verheiratet mit ihrer Schwester. Um an eine glückliche Wendung der Dinge zu glauben, muss man darauf vertrauen, dass Glück möglich ist. Ich fürchte nur, meine Addie hat jede Hoffnung aufgegeben.“
„Claire leider auch.“ Periwinkle seufzte.
Eine Weile saßen sie schweigend da.
„Sagt mal ...“ Fern beugte den Kopf und senkte die Stimmte. „Habt ihr schon versucht, etwas zu bewegen? Zum Beispiel eine Lampe oder ein Buch? Wenn ihr es ein wenig übt, geht es nämlich. Habt ihr je etwas auf eine vereiste Fensterscheibe geschrieben? Oder eurem Schützling einen kleinen Stoß versetzt?“
„Ja“, gab Periwinkle verlegen zu. Es war ja nicht so, als wüssten die himmlischen Mächte nicht bereits von ihren Experimenten. „Aber jedes Mal, wenn ich versuche, mich auf der materiellen Ebene bemerkbar zu machen, kommen ihr meine blauen Funken wie Staub vor. Das arme Mädchen erleidet einen Niesanfall, kann kaum atmen und steuert sofort auf die Mentholsalbe los.“
„Träume sind das wirkungsvollste Mittel, habe ich festgestellt“, warf Rose ein und tätschelte Periwinkle mitfühlend den Arm. „Mit ein wenig Übung wirst du die Träume deines Schützlings beeinflussen und darin sogar mit ihr sprechen.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Sieh dir doch nur den alten Scrooge an“, meinte Periwinkle trocken. „Einige merkwürdige Träume, und er wird ein völlig anderer Mensch ... Aber ja!“ Sie setzte sich aufrechter hin. Ihre Augen leuchteten. „Dickens’
Geschichte hat sie so beeindruckt. Warum nutzen wir sie also nicht für unseren Zweck? Träume – von der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Es passt doch! Claire ist quasi Witwe, und man erlaubt ihr einfach nicht, von ihrer Vergangenheit loszukommen. Vielleicht sollte ich ihre Vorgeschichte ausnutzen, um sie zu erreichen und ihr Hoffnung zu geben.“
Roses Miene hellte sich auf. „Und Addie sieht einfach nicht, was sich genau vor ihrer Nase abspielt. Ich könnte die Gegenwart übernehmen.“
„Meine Fiona macht sich ständig Sorgen um die Zukunft“, warf Fern ein. „Also werde ich sie einmal in die Zukunft blicken lassen.“
In diesem Moment läutete die Glocke an der Tür des Geschäfts, und alle drei Engelanwärterinnen sahen mit einem Schauer der Erregung auf. Welch gesegneter Laut! Das Klingeln der Glocke zeigte an, dass irgendwo eine Novizin ihre Engelsflügel bekommen hatte. Die drei sahen einander hoffnungsvoll an, nickten und wandten sich mit noch größerer Entschlossenheit wieder ihren drei Schützlingen zu.
1. KAPITEL
23. Dezember 1890, vier Uhr dreißig nachmittags
„Aufdringliche Besserwisser, diese albernen Weihnachtsgeister“, meinte Claire Halliday, als sie und ihre Freundinnen sich vom Tisch erhoben. „Scrooge tut mir wirklich leid. Ich meine, der Mann war nicht nur geizig, sondern auch entsetzlich unglücklich. Sein Leben war so fürchterlich leer und kalt. Und da kommen die Geister einfach so daher und erschrecken ihn regelrecht zu Tode.“
„Ich glaube, das war auch der Zweck der Übung“, sagte Fiona, die Besitzerin der Buchhandlung, mit einem trockenen Lächeln. „Sein
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