22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
abzugehen, doch ließ er schon nach wenigen Minuten die Pfeife dreimal hören, und wir sahen, daß er sich in Bewegung setzte.
„Geht er fort?“ fragte Halef.
„Wie es scheint.“
„Mit Lindsay. Der hat ihn doch noch nicht verlassen!“
„Allerdings sonderbar! Komm, laß uns sehen!“
Wir stiegen auf die Pferde und ritten schnell die kurze Strecke hinab, bis wir uns dem Steamer gegenüber befanden. Er hatte schon das tiefe Fahrwasser gewonnen. An der Reling stand Lindsay, der nach uns ausschaute. Als er uns sah, rief er uns zu:
„Kann nichts dafür! Bin überlistet worden! Soll ich in das Wasser springen und zu euch an das Ufer schwimmen?“
„Nein“, antwortete ich.
„Well! Lebt einstweilen wohl! Werde in Schiras auf euch warten. Darf ich?“
„Wie es Euch beliebt.“
„Will es tun. Auf Wiedersehen!“
Da trat der General zu ihm und zog ihn mit sich fort.
„Ist das Schiff abgegangen?“ fragte Halef.
„Ja. Man hat Lindsay nichts davon gesagt. Nun muß er mit.“
Da schlug Halef die Hände froh wie ein Kind zusammen und rief aus:
„Hamdullillah! Ich wollte es nicht gern eingestehen, Sihdi; aber mein Herz war tief betrübt, dich nicht mehr ganz allein zu haben! Dieser Inglis ist mir lieb; aber daß ich dich mit ihm zu teilen hatte, das raubte mir die Ruhe meines Innern. Wie freut es mich, daß du mir nun ganz zurückgegeben bist! Allah sendet zuweilen Augenblicke des Verzichtes, damit wir sehen und erkennen sollen, wie hoch der Wert dessen ist, was er uns beschieden hat. – Was aber tun wir nun? Noch eine Nacht in Basra bleiben?“
„Nein. Wir müßten am Kanal hin, nach der alten Stadt zurück, um unsere dumpfe Wohnung aufzusuchen.“
„Das war ein altes, stinkendes Loch, und doch sollte es die beste Wohnung sein, die es gab. Es hat mich vor dem Moderduft gegraut und vor dem faulen Wasser, welches wir zu trinken bekamen. Das Fieber brütet hier an jeder Stelle. Am liebsten möchte ich weit vom Fluß fort!“
„Ich bin einverstanden. Fahren wir noch über!“
„Mit demselben Fährmanne?“
„Ja. Ich vermute, daß er deine Peitsche noch nicht vergessen hat.“
„Schau, wie du plötzlich mit ihr einverstanden bist!“
„Einverstanden ist nicht das richtige Wort, lieber Halef, du wirst mich in dieser Beziehung schon noch begreifen lernen. Komm!“
„Ja, komm, Sihdi! Wollen dem Inglis eine gute Reise wünschen; uns aber auch! Wir waren zwar nur kurze Zeit hier; aber ich habe etwas in mir, was überflüssig ist. Wie ich es nennen soll, das weiß ich nicht, doch fühle ich ganz deutlich, daß es da ist. Hoffentlich werde ich diese Empfindung auf den freien, lichten Höhen des Gebirges wieder los!“
Wir ritten nach der Fähre. Der Mann saß da und schlief. Seine beiden Gehilfen lagen in seiner Nähe und – – – schliefen auch. Als wir die Schläfer weckten, wollte der Gebieter des Fahrzeuges grob werden; er hatte die Augen noch nicht ganz offen. Sobald sie aber geöffnet waren und er uns erkannte, sprang er auf und war zur Arbeit bereit. Es wurde der Preis ausgemacht, wobei er sich sehr gefügig zeigte. Als wir ihn dann am anderen Ufer bezahlten und er ein kleines Extrageschenk erhielt, war er des Lobes unserer Güte voll. Halef lächelte über diesen Erfolg seiner Peitsche still in sich hinein.
Wir ritten so lange, als es hell blieb, über die jenseitige Ebene. Als es dunkelte, machten wir bei einem wilden Dattelgestrüpp Halt, um da zu übernachten, weil es reichlich und gutes Gras für die Pferde gab. Wir befanden uns zwar auch hier noch auf feuchtem Stromgebiet, doch war die Luft eine andere als in der dumpfen, arg verpesteten Stadt, und wir taten einen so festen und ununterbrochenen Schlaf, daß wir erst erwachten, als die Sonne längst schon aufgegangen war. – – –
ZWEITES KAPITEL
Über die Grenze
„Sihdi, wie denkst du über das Sterben?“
Wir waren stundenlang schweigsam nebeneinander her geritten, und nun erklang diese Frage so plötzlich, so unerwartet, so unmotiviert, daß ich den Sprecher erstaunt ansah und keine Antwort gab. Das arabische Wort Sihdi bedeutet ‚Herr‘. So pflegte mich Halef noch immer zu nennen, obgleich wir schon längst nicht mehr Herr und Diener, sondern Freunde waren.
„Sihdi, wie denkst du über das Sterben?“ wiederholte er seine Frage, als ob er annehme, daß ich ihn nicht verstanden habe.
„Du kennst ja meine Ansicht über den Tod“, antwortete ich nun. „Er ist für mich nicht vorhanden.“
„Für mich auch
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