23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
schaffen lassen. Da lag er nun mit bequem erhöhtem Kopf und sah mich von meinem ersten Ritt nach Hause kehren. Er winkte mit der schwachen, müden Hand. Da ritt ich hin und ließ Assil die Stufen langsam steigen.
„Sihdi, welche Freude!“ sagte er. „Wieder zu Pferd! Nun wohl bald auch ich!“
Hanneh saß bei ihm. Sie streichelte ihm zärtlich die Wange und erklärte mir:
„Wir erschraken, als Assil mit dir entfloh; aber Kara, mein Sohn, rief uns zu, daß er dir folgen und dich behüten werde. Das beruhigte uns. Dann sahen wir dich an seiner Seite den See entlang reiten; so brauchten wir uns also nicht zu sorgen. Als Halef später erwachte, erzählte ich ihm, daß du jetzt deinen ersten Ritt versuchst. Da gab er keine Ruhe; er mußte hierhergetragen werden, um dich heimkommen zu sehen. Nun bist du da. Wie freut er sich, der Liebe!“
Ich stieg ab und setzte mich zu ihnen. Assil ging ganz von selbst die Stufen wieder hinunter. Da kam Tifl.
„Effendi, ich werde absatteln“, sagte er. „Aber wenn du wieder reitest, so nimmst du mich mit. Du hast es mir versprochen! Weißt du es noch?“
„Ja. Und was ich verspreche, das halte ich. Wenn du dann nicht mehr mit mir reiten willst, brauchst du es bloß zu sagen.“
Das war eine Andeutung die er aber nicht verstand. Was mir Kara von ihm erzählt hatte, war mir von dem Lehrer bestätigt worden. Der Lahme stand von jetzt an unter strenger Aufsicht, ohne daß er es ahnte. Und sonderbar: Als er den Rappen fortführte, schaute Halef ihm nach und sagte:
„Ein Gespenst! Ich habe es schon einige Male gesehen – – – wenn ich die Augen öffnete – – –. Es stand vor mir und schaute mich häßlich an – – –. Sihdi, laß diesen Mann nicht her zu mir – – –; ich mag ihn nicht!“
„So geht es mir mit seiner Pekala“, bemerkte Hanneh. „Warum steht immer eines von beiden hier bei uns, um nachzusehen, was geschieht, und auch zu hören, was gesprochen wird? Es fällt mir schwer, dies nur für Neugierde zu halten; aber für Spione ist doch wohl hier kein Ort!“
Ich war still. Etwa aus Beschämung? Warum hatte ich Tifl und Pekala gegenüber nicht sogleich dasselbe Gefühl gehabt wie Halef und Hanneh? Wahrscheinlich, weil diese beiden letzteren Naturmenschen waren, welche die Instinkte noch besitzen, die uns im Verlauf unserer ‚Bildung‘ mehr und mehr verlorengehen. Die immer strahlende ‚Festjungfrau‘ und ihr ‚originelles Kind‘ waren mir so außerordentlich ‚natürlich‘ vorgekommen, während ich jetzt immer mehr einzusehen begann, daß eine künstliche, eine nachgeäffte Natürlichkeit nicht mehr natürlich ist. Denn daß ich es hier mit Schauspielereien zu tun hatte, das war mir sehr wahrscheinlich. Darüber, daß ich mich einmal in einem oder zwei Menschen geirrt hatte, kam ich sehr leicht hinweg, um so fürchterlicher aber waren mir die kindlichen naiven, rührseligen Masken, von denen ich mich hatte täuschen lassen. Wer so aufrichtig blickt und spricht wie diese beiden Menschen und doch nicht wahr und ehrlich ist, als was kann man den noch betrachten und behandeln! Es gibt in Persien eine große Menge von Sekten. Eine derselben, die Schujuch, lehrt, der menschliche Körper sei nur dazu da, daß die Geister einander täuschen; das Erdenleben sei ein großer, ununterbrochener Maskenball, doch keineswegs zum Vergnügen, und je schöner, freundlicher und liebenswürdiger ein Maskenbild erscheine, desto mehr habe man sich vor ihm in acht zu nehmen. Die Kinderlarven aber seien am allerschlimmsten. Ich bin weder Perser noch Sektierer, aber es wurde mir nun gar nicht schwer, mich in den Gedanken zu versetzen, daß Pekala und Tifl hier bei den Dschamikun Redoute spielten. Und ich, der ich die Kinder herzlich liebe, war diesen ‚allerschlimmsten‘ in das Garn gegangen.
Über Halef freute ich mich. Er schien seit gestern einen bedeutenden Fortschritt gemacht zu haben und bat, bis zum Abende im Freien bleiben zu dürfen. Darum schlug ich vor, hier an diesem Platz später unser Abendbrot zu nehmen, worauf gern eingegangen wurde. Als Hanneh mich fragte, wo Kara geblieben sei, sagte ich nur, daß er gegen Abend wiederkommen werde, und ging dann in den Garten, wo, wie ich hörte, sich der Peder befand. Er saß auf der Bank, wo ich von Tifl als Pflaumendieb überfallen worden war. Ich setzte mich zu ihm.
„Kennst du den Scheik ul Islam?“ fragte ich.
„Ja“, antwortete er, sofort aufhorchend; „doch nicht
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