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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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sollte. Eben das tun die anderen Sonnenläufer. Manche ziehen kleine Karren oder Stangenschleifen auf Rädern mit ihren Vorräten oder sogar Schlafgefährten darauf hinter sich her. Sie haben den Rückweg knapp kalkuliert, da die Stadt ausgesprochen zuverlässig ist. Sie kann gar nicht von ihrem Zeitplan abweichen. Durch die Hitze des anbrechenden Tages dehnen sich die Schienen aus, und der Trägerschlitten der Stadt gleitet passgenau über sie hinweg. So treibt das Sonnenlicht die Stadt auf ihrem Weg nach Westen an.
    Die heimkehrenden Sonnenläufer versammeln sich auf dem Bahnsteig, während die Stadt näher kommt. Manche von ihnen sind seit Wochen draußen, manche sogar seit Monaten, lange genug, um den ganzen Planeten einmal zu umwandern. Wenn die Stadt an ihnen vorbeigleitet, öffnen sich die Tore, sodass sie eintreten können.
    Bald ist es so weit, und eigentlich sollte auch Swan mit dabei sein. Doch sie steht noch immer auf ihrem Felsvorsprung. Mehr als einmal hat sie ihre Netzhaut wiederherstellen lassen müssen, und oft war sie gezwungen, wie ein Hase zu laufen, um nicht umzukommen. Das wird sie gleich wieder tun müssen. Sie befindet sich unmittelbar südlich der Stadt und steht mitten im Licht der horizontalen Strahlen, wie eine silbrige Trübung der Sicht. Man möchte sie anschreien für ihren Leichtsinn, auch wenn es nichts bringen würde. Swan, du Trottel! Alex ist tot – daran lässt sich nichts ändern! Lauf um dein Leben!
    Und dann tut sie es. Das Leben – der Drang zu leben – gewinnt die Oberhand; sie dreht sich um und rennt. Merkurs Schwerkraft, die fast genau der des Mars entspricht, wird oft als perfekter G-Wert für schnelles Laufen bezeichnet, weil Menschen, die daran gewöhnt sind, in gewaltigen Sätzen durch die Landschaft jagen können, dabei mit den Armen rudern, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und so springt und rudert Swan – einmal verfängt sie sich mit einem Stiefel und schlägt lang hin, kommt aber sogleich wieder auf die Beine und rennt weiter. Sie muss den Bahnsteig erreichen, solange die Stadt sich noch daneben befindet. Die nächste ist erst zehn Kilometer weiter westlich.
    Sie erreicht die Treppe, die zu dem Bahnsteig emporführt, packt das Geländer und schwingt sich hoch. Von der äußersten Kante des Bahnsteigs springt sie durch die sich bereits schließende Luftschleuse.

Swan und Alex
    A lex’ Trauerfeier hatte bereits begonnen, als Swan sich Terminators große Haupttreppe empormühte. Die Einwohner der Stadt waren auf die Straßen und Plätze hinausgetreten und standen schweigend da. Auch eine große Anzahl auswärtiger Besucher war anwesend; eigentlich hätte gerade eine Konferenz beginnen sollen, zu der Alex eingeladen hatte. Am Freitag hatte sie die Besucher begrüßt. Jetzt, am Freitag darauf, hielt man ihr Begräbnis ab. Ein plötzlicher Zusammenbruch, und es war nicht gelungen, sie wiederzubeleben. So trauerten sie: die Einwohner der Stadt, die diplomatischen Gesandten, Alex’ Angehörige.
    Auf halbem Weg die Dämmerungsmauer hinauf hielt Swan inne. Sie konnte nicht weiter. Unter ihr Dächer, Terrassen, Veranden, Balkone. Zitronenbäume in riesigen Tonkübeln. Ein sanfter Abhang, wie ein kleines Marseille, mit vierstöckigen weißen Mietshäusern, Balkonen mit schwarzen Eisengeländern, breiten Straßen und schmalen Gassen, am Fuße eine Promenade, von der aus man freie Sicht auf den Park hatte. Alles voller Menschen, die sich vor ihren Augen ausdifferenzierten, jedes Gesicht einzigartig und gleichzeitig einem Typus zugehörig – olmekische Kugelform, Beil, Schaufel. An einem Geländer standen drei Kleine, jeder etwa einen Meter groß, alle in Schwarz. Tief unten am Fuß der Treppe hatten sich die soeben eingetroffenen Sonnenläufer versammelt. Sie sahen verbrannt und staubig aus. Ihr Anblick versetzte Swan einen Stich – selbst die Sonnenläufer waren zu diesem Anlass erschienen.
    Sie machte kehrt und stieg die Treppe wieder hinunter. Als die Nachricht sie erreicht hatte, war sie sofort aus der Stadt gerannt, getrieben vom Bedürfnis nach Einsamkeit. Auch jetzt ertrug sie es nicht, in dem Moment, in dem man Alex’ Asche verstreute, von anderen gesehen zu werden, und genauso wenig wollte sie ihrerseits Mqaret sehen, Alex’ Lebenspartner. Hinaus in den Park also, um sich dort unter die Menge zu mischen. Die Leute standen alle reglos da und blickten nach oben, die Bestürzung war ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie hielten einander fest. So viele

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