Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
263 - Von Menschen und Echsen

263 - Von Menschen und Echsen

Titel: 263 - Von Menschen und Echsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
Vom Netzwerk:
dabei zusehen konnte. Eine Hand mit neuen Fingern wuchs langsam daraus hervor. »Umso mehr, als ich mir ein ausreichend großes emotionelles Repertoire angeeignet habe.« Schon war er wieder ganz der Mann, dessen Tarnidentität er angenommen hatte: Hermon der Händler lächelte gewinnend; er strahlte ein überbordendes Selbstbewusstsein aus.
    Geschrei schallte über Felder und Wälder. Thgáan hielt die Kriegerinnen weiterhin auf Abstand. Sie beide waren alleine, und sie hatten Zeit für eine Aussprache.
    »Wer bist du?«, fragte Grao. »Und wie bist du hierher gelangt?«
    »Ich heiße Her'sil'mon. Dass ich auf diesem Planeten zurückgelassen wurde, ist das Ergebnis einer Kette unglücklicher Ereignisse.« Das Lächeln verstärkte sich. »Wobei wir beide wohl wissen, dass die Wissenschaft und insbesondere die Stochastik weder Glück noch Unglück kennt. - Doch zurück zu deiner Frage: So wie viele von uns hatte ich lange vor der Katastrophe am Kratersee den Auftrag erhalten, die Primärrassenvertreter zu beobachten und ihr Verhalten zu studieren. Ich verbrachte viel Zeit unter den Barbaren des Nordens und des Ostens, um die Ergebnisse unserer Experimente mit ihnen vor Ort auszuwerten.«
    Grao ließ sich von der Bereitwilligkeit des Artgenossen, seine Lebensgeschichte vor ihm auszubreiten, nicht täuschen. Er musste aufmerksam bleiben, durfte sich nicht von der sonoren Stimme seines Gegenübers einlullen lassen.
    »Ich hielt mich in Osloo auf, als mich der Ruf des Wandlers erreichte«, fuhr Her'sil'mon fort. »Er rief uns alle zum Kratersee, um uns in den Kampf mit dem Streiter zu führen. Sein Ruf war unwiderstehlich, und eigentlich hätte ich ihm augenblicklich folgen müssen. Doch ich stand kurz vor dem Ende eines Experiments, das mich fünf Jahre der Forschung gekostet hatte, und so redete ich mir ein, es käme auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an.« Er seufzte. »Ein folgenschwerer Irrtum, wie ich bald darauf bemerkte - als ich fühlte, wie sich die mental-ontologische Substanz unseres Volkes plötzlich entfernte. Als es gemeinsam mit dem Wandler ins All aufbrach - und ich auf der Erde zurückblieb.«
    Her'sil'mon senkte den Kopf und ballte die Hände zu Fäusten. Wut und Frust waren ihm deutlich anzumerken.
    Grao'sil'aana fühlte sich von seinem Artgenossen gleichermaßen angezogen wie abgestoßen. Beide hatten sie denselben Rang in der Hierarchie ihres Volkes inne, beide waren sie Zurückgelassene, auch wenn er diesen Schritt in eigener Entscheidung getan hatte, wegen Daa'tan. Andererseits, so fühlte er, hatte er rein gar nichts mit diesem da gemeinsam.
    Warum sollte ich mich auf mein Gefühl verlassen? , schalt er sich. Vernünftigerweise sollten wir beide eine Zweckgemeinschaft bilden, unsere Ziele neu definieren und uns daran machen, unseren Platz auf der Erde zu finden. Womöglich gibt es noch andere Daa'muren, die es zu suchen und zu finden gilt…
    »Ich machte eine Bestandsaufnahme«, fuhr Her'sil'mon fort, »und kam zu dem Schluss, dass ich mich mit den Umständen arrangieren musste. Ich bereiste also große Teile Eurees, um die Menschen noch besser kennen zu lernen und ihre Motivation zu erfassen.« Er lächelte. »Wie du zweifelsohne festgestellt hast, besitzen die Primärrassenvertreter erstaunliche Fähigkeiten. Immer wieder handeln sie wider die Vernunft - und schaffen es dennoch, auf diesem trostlosen Planeten zu überleben. Als ich mir ihrer Anpassungsfähigkeiten bewusst wurde, beschloss ich, ihre Verhaltensweisen zu erlernen und jene, die mir nützlich erschienen, zu kopieren. Mit großem Erfolg, nebenbei bemerkt.«
    Her'sil'mon breitete die Arme aus und grinste. »Es ist mir gelungen, meinen Intellekt so weit zu schulen, dass ich wie ein Mensch agieren und reagieren kann; womöglich sogar besser als sie. Gegen die schuppige Haut, die uns verraten kann, fand ich ebenfalls ein Mittel: eine Salbe, die die winzigen Zwischenräume ausfüllt und die Haut glatt erscheinen lässt. So konnte ich mich gefahrlos unter den Primärrassenvertretern bewegen und in ihrer Hierarchie immer höher steigen. Inzwischen bin ich unbesiegbar in meinen Möglichkeiten. Niemand kann mir noch widerstehen!«
    Er setzt Machtgier mit Stärke gleich, und Mitgefühl mit Schwäche , mutmaßte Grao'sil'aana - und wurde sich bewusst, wie sehr er sich von seinem Artgenossen unterschied. Denn er hatte während der letzten Wochen gelernt, was es wirklich bedurfte, um Mensch zu sein. »Was hat es mit den Lischetten auf

Weitere Kostenlose Bücher