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316 - Die Pest in Venedig

316 - Die Pest in Venedig

Titel: 316 - Die Pest in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Hoheitszeichen Venedigs, das sich an jeder Ecke finden ließ. Aber die Statue über ihr erschien ihr ganz anders. Zwar besaß sie Flügel wie ein Engel, doch ihr fehlte die Ausstrahlung von etwas Erhabenem. Wie ein geduckter, zum Sprung bereiter Dämon hockte sie in einer Vertiefung dicht unter dem Dach.
    Xij stand auf. »Nochmals vielen Dank für Eure Hilfe.«
    Das Lächeln des Savi erlosch, als er etwas hinter ihr entdeckte. Da Bellini senkte den Kopf. »Ihr solltet nicht in dieses Haus gehen, Signorina Hamlet.«
    Xij drehte sich um und folgte seinem Blick. Aus dem Haus wurde eben eine Bahre getragen. Ein Tuch deckte die Leiche darauf ab, bis auf einen Arm, der unter der Bewegung der beiden Träger frivol schlenkerte. Die Fingernägel glänzten schwarz. Xij spürte einen Anflug von Übelkeit. »Die Pest«, flüsterte sie. Ob es Nachfahren von ihr getroffen hatte?
    »Eine Seuche, ja«, bestätigte da Bellini. »Leider kümmert sich der Doge kaum darum. Er ist zu sehr mit seinen Literaturprojekten beschäftigt und vertraut auf die Aussagen der Ärzte Paduas, die Krankheit sei nicht ansteckend.«
    Xij fuhr herum. »Nicht ansteckend?«, echote sie fassungslos.
    Das Lächeln war wieder auf da Bellinis Zügen. »Das sagt der Doge, nicht ich. Du stimmst mir also zu, dass ein Aufenthalt in diesem Casa zu gefährlich ist? Das ist klug von dir. Ich biete dir meine Gastfreundschaft an. Du wirst mit mir kommen.«
    Xij biss die Zähne zusammen. Diese Wendung gefiel ihr gar nicht. Offensichtlich forderte er wirklich eine Belohnung für ihre Rettung. So, wie er sie ansah, hatte er durchaus Interesse. Sie erwiderte seinen Blick und wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos war. Republik hin oder her, er war der Savi Venedigs und ein direkter Vertrauter des Dogen. Da konnte sie ebenso gut an eine Franziskaner-Kirche pinkeln und auf das Verständnis der Mönche hoffen. Sie setzte sich wieder und spiegelte sein Lächeln. »Vielen Dank, Savi. Eure Gastfreundschaft ehrt mich.«
    ***
    Mit der Dunkelheit kroch kühler Dunst durch die Kanäle. Matt drängte sich in der Nähe des Markusplatzes in eine Nische unter ein Fenster und versuchte nicht aufzufallen. Er hatte sich nie Gedanken über die unzähligen Gerüche gemacht, die mit dem schönen und zugleich fremden Bild Venedigs verbunden waren. Schimmel und Moder, Fäulnis und der Gestank von wuchernden Algen durchdrangen einander. Aber auch der Duft von gebackenem Brot und Gnocchi in schwerer Soße, der seinen Magen trotz allen Gestanks knurren ließ.
    Inzwischen hatte er, auf Grao’sil’aanas Rücken liegend, einen Teil des Stadtkerns gesehen. Dabei fiel ihm auf, dass ein markantes Gebäude fehlte – die Kirche der Heiligen Jungfrau, Santa Maria della salute. So weit Matt sich erinnerte, hatten die Venezianer diese trutzige Kirche nach dem Ende einer Pestepidemie um 1640 erbaut. Sie befanden sich also in einer Zeit vor dem 17. Jahrhundert.
    Grao’sil’aana besorgte ihm Kleidung, während er wartete. Der Daa’mure hatte Matt vorgeschlagen, unter einem der Brückenbogen auf ihn zu warten, aber diese dunklen Flecken gehörten den Ratten. Matt wollte nichts tun, was ihn auch nur ansatzweise mit der Pest in Berührung brachte.
    Er fuhr herum, als sie sich vom Kanal her eine Gestalt näherte.
    »Hier«, sagte Grao rau und hielt ihm in der Gestalt des dicken Händlers eine Mönchskutte samt Kapuze hin. »So was wolltest du doch, oder?«
    »Danke. Bist du sicher, dass der Träger nicht die Pest hatte?«
    »Zumindest hat er sich gerade gewaschen und war somit nicht tot.«
    Matt verzog das Gesicht. Entwickelte der Daa’mure jetzt auch noch so etwas wie Humor? Nun gut; mehr Garantie würde es wohl nicht geben. Matt sah er sich kurz um, dann warf er sich die Kutte über. Der Stoff fühlte sich rau an und kratzte auf der Haut. Insgesamt war das Kleidungsstück ein wenig kurz. Matt war bereits aufgefallen, dass er ein Hüne unter der mittelalterlichen Bevölkerung war. Zum Glück wirkten seine schwarzen Stiefel nicht zu fremdartig.
    »Dann los. Wir müssen zurück zum Markusplatz, um herauszufinden, was mit Xij passiert ist.« Sein Herz schlug vor Furcht schneller, als er an die Menge dachte, bei der sie Xij zurückgelassen hatten.
    Grao’sil’aana strich sich durch den rotblonden Bart. »Ich habe darüber nachgedacht. Dieses Zeitalter ist zu gefährlich für euch schwache Menschen. Wäre es nicht besser, zum Flächenräumer zurückzukehren und eine andere Zeit auszuprobieren? Da heißt –

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