32 - Der Blaurote Methusalem
Sie sich einbilden, chinesisch sprechen zu können?“
„Was beliebt?“ fragte Turnerstick schnippisch, indem er den Klemmer empornahm und den Sprecher geringschätzig musterte.
„Ich frage, ob Sie denken, da mit den Kulis chinesisch gesprochen zu haben?“
„Natürlich. Was sonst?“
„All devils! Das ist lustig! Redet der Mann ein Kauderwelsch, daß man meint, es ziehe einem alle Zähne aus, ein dummes Deutsch mit allerlei fing, feng, fung, fang dahinter, und das gibt er für Chinesisch! Da können einem ja alle Haare zu Berge fahren! Mein bester Sir, ich bin so ziemlich der hiesigen Mundarten mächtig, nämlich des Pun-ti, Hakka, Fuh-kian, Fu-tscheu, Nan-tschang und Hoei-tscheu, denn ich treibe mich nun bereits an die fünfzehn Jahre hier herum, aber was Sie da zusammengereimt haben, das würde mir unverständlich gewesen sein, wenn ich nicht zugleich auch nebenbei ein wenig deutsch verstände. Wenn Sie sich mit Ihrem Chinesischen einpökeln lassen und dann die Salzlake weggießen, so bleibt nichts übrig als ein Rippenstück, welches man nicht einmal räuchern kann.“
Turnerstick ließ den Klemmer fallen, spreizte die Beine nach Seemannsart weit aus und öffnete bereits den Mund zu einer geharnischten Entgegnung, da aber schnitt ihm der Lotse dieselbe mit den Worten ab: „Bitte, keine Rede halten! Ich habe keine Zeit, sie anzuhören. Zahlen Sie mir meine Gebühr, und ich gebe Ihnen meine Quittung; dann scheiden wir in Frieden voneinander.“
„Ja“, stieß der Kapitän hervor, „machen wir uns schleunigst voneinander los, sonst geraten Sie auf Leegerwall und können sich nicht wieder abarbeiten. Wäre ich nicht Kapitän Heimdall Turnerstick, ein Gentleman vom Kopf bis zur Sohle, so müßten Sie jetzt einen Boxgang mit mir machen, der Ihnen beweisen sollte, daß ich das feinste Mandarinen-Chinesisch nicht nur in dem Kopf, sondern auch in den Fäusten habe. Ich soll ein Chinesisch reden, welches einem die Haare zu Berge treibt und die Zähne aus dem Mund reißt! Das ist geradezu unerhört! Ja, kommen Sie mit mir! Ich werde Sie bezahlen, und dann, wenn Sie es wieder wagen sollten, sich bei mir an Bord erblicken zulassen, blase ich Sie samt Ihren Dialekten in die Luft, daß Sie in den Wolken hängen bleiben! Warum haben Sie vorhin nicht mit mir chinesisch reden wollen? Weil Sie es nicht können. So ist es! Da ist es Ihnen natürlich ganz unmöglich, einen solchen Sprachgelehrten, wie ich bin, zu verstehen.“
Er ging wie ein beleidigter, seiner Überlegenheit wohl bewußter Held nach der Kajüte ab. Der Lotse folgte ihm und kehrte bald darauf zurück, um das Schiff zu verlassen.
Turnerstick ließ sich noch nicht sehen. Nach Verlauf von fast einer Stunde, während welcher der Steuermann das Bergen der Segel und anderes Notwendige angeordnet und beaufsichtigt hatte, hielt Fritz Degenfeld es doch für geboten, einmal nach dem Beleidigten zu sehen.
Eben als er an die Kajütentür klopfen wollte, wurde dieselbe geöffnet und heraus trat – ein Mann, den der Student für einen Vollblutchinesen gehalten hätte, wenn nicht der goldene Klemmer gewesen wäre, welcher demselben soeben von dem schiefen Stumpfnäschen herabrutschte.
„Kapitän!“ rief Degenfeld. „Fast hätte ich Sie nicht erkannt!“
„Nicht wahr!“ antwortete Turnerstick, indem er eine höchst befriedigte, selbstgefällige Miene zeigte. „Ja, ich bin der reine Chinamann! Nicht?“
„Allerdings! Gerade wie im kaiserlichen Lustschloß zu Yuan-ning-yuen geboren und erzogen! Lassen Sie sich doch einmal ansehen!“
Er faßte ihn bei den Achseln und drehte ihn nach allen Seiten, um die Verwandlung, welcher Turnerstick sich unterworfen hatte, genau in Augenschein zu nehmen.
„Fein, sehr fein! Meist alles aus Seide!“ erklärte der Kapitän, indem er die Obergewänder öffnete, damit Degenfeld auch die Unterkleider sehen könne.
Er trug eine außerordentlich weite Hose aus roter, weiß geblümter Seide, welche unten über den Knöcheln mit breiten Bändern zusammengebunden war, und darüber eine Weste von demselben Stoff, welche ihm bis auf die Hälfte der Oberschenkel reichte. Darüber kam ein weißes, ärmelloses Hemd von Seide. Dann folgte ein ziemlich enges, schlafrockähnliches, blaues Gewand, welches fast bis zur Erde reichte. Die Ärmel desselben wurden nach unten außerordentlich weit und hingen bis über die Hände herab. Sie konnten als Taschen gebraucht werden. Um die Hüfte war ein langer, golddurchwirkter Gürtel
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