32 - Der Blaurote Methusalem
mit Gottfried und mit Turnerstick, welcher sich natürlich für vollberechtigt hielt, die Ovation bis zur Neige auszukosten. Sie wurden wieder in Reih und Glied genommen und unter den Klängen der Musik nach dem ‚Geldbriefträger‘ geführt, dessen großer, hell erleuchteter Saal die Teilnehmer des Fackelzuges kaum zu fassen vermochte.
Was dort getrunken, gesungen, erzählt, bestaunt und – belacht wurde? Hm, das blieb für lange Zeit Geheimnis der Beteiligten. Erst nach Wochen munkelte man hie und da etwas von einem berühmten Tur-ning-sti-king kuongan ta-fu-tsiang, von famosen Endungen, von einem Klemmer, der nie auf der Nase bleiben wollte, von einem talmichinesischen Mandarin, welcher mit allen Anwesenden Schmollis getrunken und sie dann einzeln doch mit ‚Mijnheer Dicker‘ angerufen hat. Was davon zu glauben ist, das werden diejenigen wissen, welche dabei waren. Tatsache ist, daß gerade in dem Augenblick, als der auf der Humboldtstraße wohnende Bäcker die neubackenen Semmelzeilen in das Schaufenster legte, drei männliche Personen mit einem Neufundländer, der ein leeres Seidel trug, um die Ecke des Pfeffergäßchens gebogen kamen und nach längerem Klirren des Hausschlüssels in dem Haus verschwanden, in welchem der Methusalem seit Jahren seine ‚Bude‘ hatte.
Als sie sich im Flur befanden, wurde die Tür zur Wohnung Ye-kin-lis, deren Insassen alle noch munter waren, geöffnet, und der Händler bat: „Herr Degenfeld, darf ich Sie so spät noch zu mir bitten? Ich habe Sie doch noch gar nicht gesehen und begrüßt!“
„Gleich, lieber Freund. Ich will erst den Kapitän in die Koje bringen.“
Man munkelte ferner davon, daß Turnerstick die Treppe mittels einer vier armigen Sänfte erstiegen habe, nämlich menschenarmig, was er, wenn es wirklich geschehen sein sollte, jedenfalls nur der größeren Bequemlichkeit wegen getan hat. Konstatiert aber ist es, daß er, als er droben in Gottfrieds Bett gelegt wurde, sofort tüchtig zu schnarchen begann und, davon erwachend, zornig ausrief: „Nicht schnarchen, Dicker! Ich will schlafing! Schmollis, Mijnheer! Fiduzit, Methusalung!“ Er blieb noch eine volle Woche bei seinen Freunden, hatte aber bereits am ersten Tag den langen, chinesischen Rock wieder mit dem Südkarolinafrack vertauscht. Dann kehrte er nach Hamburg zurück, wo sein Klipper vor Anker lag.
Wer der Meinung gewesen war, daß der Methusalem seine täglichen, regelmäßigen Gänge nach dem ‚Geldbriefträger‘ wieder beginnen werde, der hatte sich sehr geirrt. Ja, er ging täglich aus, aber nur einmal, mit dem Gottfried und dem Hund ganz in der früheren Weise und Reihenfolge, aber nicht in das altberühmte Schanklokal, sondern nach einer einsam gelegenen Promenade. Fragte man ihn, warum er diese ungeahnte Neuerung eingeführt habe, so antwortete er: „Ik wil niet drinken. De lucht is hier zeer goed.“
Darüber schüttelte man natürlich die Köpfe und ließ nach einigen vergeblichen Versuchen, ihn wieder in seine alte Bahn zu lenken, ihn ruhig seines Weges gehen. Und ‚de lucht‘ schien ihm allerdings sehr gut zu bekommen. Sein Gesicht nahm nach und nach eine hellere Farbe an, und die Nase näherte sich mehr und mehr der Form solcher Nasen, welche nicht infolge eines ‚Hiebes‘ blaurot angelaufen sind.
Einem intimen früheren Zechbruder soll er gesagt haben: „Ich bin ein Tor gewesen. Der Mensch hat andre Zwecke als das Pokulieren, welches doch nur Leib und Geist zerrüttet. Ich brauche kein Amt, denn ich bin reich; aber ich will dem braven Jungen, dem Richard Stein, als Beispiel leben, damit er nicht auf meine früheren Wege gerät. Er soll doppelt lernen, erstens das Seinige und zweitens das, was ich versäumt habe.“
Onkel Daniel lebt mit seiner Schwägerin und deren Kindern als Rentier von den Zinsen seines Vermögens. Der Methusalem wohnt bei ihnen.
Wer die Hauptstraße entlanggeht, dem fällt ein eigentümlich geformtes Schild auf, welches die Firma ‚Liang-ssi, Droguenhändler‘ enthält. Der Laden ist mit Hilfe der bekannten Goldbarren glänzend eingerichtet und die Tür desselben erklingt fast unausgesetzt vom frühen Morgen bis zum späten Abend.
Méi-pao und Sim-ming, die beiden Schwestern, kamen in ein Institut, um schneller Deutsch zu lernen und eine deutsche Erziehung zu erhalten.
Wer nun, da einige Jahre vergangen sind, auf dem Universitätsplatz wohnt, der kann täglich drei Studenten beobachten, welche ein einmal belegtes Kollegium gewiß nicht
Weitere Kostenlose Bücher