37 - Satan und Ischariot I
entwickelte sich ein sehr reges Lagerleben. Wir betrachteten das geraubte Vieh als Eigentum des Haziendero, nahmen uns aber dennoch die Freiheit, einige Stücke davon zu schlachten, um Fleisch zu haben. Das kleine Opfer konnten wir verlangen, da wir gesonnen waren, ihm den Raub zurückzubringen. Zwischen mir und Winnetou wurde beschlossen, gleich morgen mit den Herden aufzubrechen. Als wir dies dem Häuptling der Mimbrenjos sagten, fragte er:
„Was soll indessen mit den Gefangenen geschehen?“
„Sie sind dein. Mache mit ihnen, was du willst“, antwortete Winnetou.
„So werde ich sie sofort nach den Weideplätzen meines Stammes bringen, wo wir über sie Gericht halten werden.“
„Dazu brauchst du Leute; ich aber kann doch mit Old Shatterhand die Herden nicht allein nach der Hazienda treiben!“
„Ich werde euch fünfzig Männer mitgeben, welche euch helfen.“
Das hatten wir erwartet und nahmen das Anerbieten augenblicklich an. Für mich galt es nun, mit dem ‚Großen Mund‘ zu sprechen, um das Nötige über den Mormonen und seine Absichten zu erfahren. Ich war freilich überzeugt, daß er sich hüten werde, mir die Wahrheit zu sagen, hoffte aber, indirekt wenigstens so viel zu erfahren, daß ich das übrige durch Schlüsse zu ergänzen vermochte. Ich brauchte das Gespräch mit ihm gar nicht zu beginnen, ihn gar nicht merken zu lassen, wieviel mir an der Sache lag; ich war vielmehr überzeugt, von ihm angeredet zu werden, sobald er mich in seiner Nähe sehen würde. Darum gab ich mir den Anschein, die Fesseln der Gefangenen untersuchen zu wollen, und kam dabei auch zu ihm. Als ich seine Riemen betastete, fragte er in zornigem Ton, doch so, daß nur ich es hörte:
„Warum hast du meine Krieger überfallen?“
„Weil sie unsere Feinde sind.“
„Aber warum tust du es, da du doch dein Versprechen halten und sie wieder freigeben mußt?“
„Ich mußte ihnen doch die geraubten Tiere abnehmen, da ich sie dem Haziendero zurückbringen will.“
„Dem Don Timoteo Pruchillo?“
„Ja.“
„Der ist ja gar nicht mehr Haziendero!“ lachte er.
„Wer denn?“
„Das Bleichgesicht, welches ihr Melton nennt.“
„Melton? Wie kommt der dazu, Haziendero zu sein?“
„Er hat die Hazienda dem Don Timoteo abgekauft. Willst du etwa ihm die Tiere bringen?“
„Fällt mir nicht ein! Ich schaffe sie zu Timoteo Pruchillo!“
„Den findest du nicht. Er ist aus dem Land hinaus.“
„Woher weißt du das?“
„Von Melton, der es so mit Weller beschlossen hatte.“
„Also befindet sich Melton jetzt als Besitzer auf der Hazienda?“
„Nein.“
„Wo ist er denn?“
„Auf – in – – –“
Er hielt stockend inne; er hatte mir eine Antwort geben wollen, sich aber anders besonnen, und als ich meine Frage wiederholte, äußerte er:
„Ich weiß es nicht.“
„Soeben wolltest du es mir doch sagen! Dann sage mir, was aus den weißen Einwanderern geworden ist!“
„Sie müssen – – – sie sind – – – sie befinden sich – – –“
Er stockte wieder.
„So rede doch!“ forderte ich ihn auf.
„Ich weiß auch dieses nicht.“
„Aber ich höre dir an, daß du es weißt!“
„Ich kann es unmöglich wissen. Alle die Männer und Leute, von denen du redest, waren meine Gefangenen. Du weißt, daß ich sie freigelassen habe. Wie kann ich wissen, was sie dann getan haben und wo sie sich befinden!“
„Du mußt es wissen, denn du hast die Pläne Meltons kennengelernt. Er hat dich aufgefordert, die Hazienda zu überfallen.“
„Wer hat dir diese Lüge gesagt?“
„Es ist keine Lüge, sondern die Wahrheit. Als Melton mit den Einwanderern unterwegs war, hast du ihn mit Weller aufgesucht und das Nötige verabredet.“
„Auch das ist eine Lüge!“
„Leugne nicht! Ich selbst habe euch beobachtet.“
„So haben deine Augen dich getäuscht.“
„Meine Augen täuschen mich nie. Dein Leugnen bringt dir keinen Nutzen. Ich will und muß unbedingt wissen, was nach dem Überfall und der Einäscherung der Hazienda mit den Einwanderern geschehen ist.“
„Und ich kann es dir nicht sagen, da ich es selbst nicht weiß.“
„Du weißt es. Du hast versprochen, mir Auskunft zu erteilen.“
„Und du hast versprochen, uns freizulassen; anstatt aber dieses Versprechen zu erfüllen, nimmst du immer mehr von uns gefangen!“
„Ich werde es erfüllen, wenn du das deinige hältst.“
„Ich habe es gehalten und dir alles gesagt, was ich weiß.“
„Es ist nicht wahr, doch
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