40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
essen ihrem Geschlecht entsprechend. Männer rotes Fleisch, Frauen Pute. Er Knurrhahn, sie Salade niçoise. Madame mag es süß, leicht, weich und mild, Monsieur deftig, herb, schwer und stark.
Sie knabbert, knuspert und nagt zurückhaltend, er fletscht, mahlt und haut sich die Wampe voll. Sie kurvt ums Salatbuffet, er schwänzelt um den Grill rum. Unser Essverhalten entspricht unserer Persönlichkeit. Wir essen, wie wir sein wollen.
Soll ich aufstehen und einen Vortrag halten? »Hört mir mal alle zu!« Das mache ich natürlich nicht. Aber ich könnte Folgendes ausrufen: »Essen, um das mal klarzustellen, hat in erster Linie mit Energiezufuhr zu tun. Habt ihr überkandidelten Gourmet-Pilger das schon vergessen?«
Stattdessen zahle ich nur 3,20 Euro, schüttele den Kopf, zucke mit den Schultern, ziehe die Stirn kraus und stelze heraus. Tue ratlos.
»Nichts –«, schreibt der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in Tiere Essen , »kein Gespräch, kein Handschlag, nicht mal eine Umarmung – besiegelt Freundschaft so deutlich wie gemeinsames Essen. Vielleicht ein kulturelles Phänomen. Vielleicht ein Nachhall der gemeinschaftlichen Mahlzeiten unserer Vorfahren.«
Essen ist nicht gleich essen. Und nicht essen ist nicht gleich nicht essen.
Es ist dunkel, Hamburg wirkt bedrohlich. Die Stadt hat Mundgeruch.
Siebenundzwanzigster Tag, 27. September
Wenn ihr aber fastet, sollt ihr nicht finster dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Angesicht, um sich mit ihrem Fasten vor den Leuten sehen zu lassen.
Bergpredigt
Siebenundzwanzigster Tag, 27. September
80,5 KILOGRAMM
Finster? Finster ist es draußen. Auch tagsüber. Und damit verfinstert sich auch automatisch die Stimmung der Menschen. Ob sie fasten oder nicht.
Der 27. Fastentag. Wenn ich mir vorher über die 40 Tage Gedanken gemacht habe, dann besonders wegen des 27. Tages. Irgendwie dachte ich immer, das wäre der entscheidende. Wenn ich den schaffe, dann schaffe ich auch den 40. Schlimm würde es aber, wenn ich an diesem Tag eine Krise hätte. Aber ich habe keine Krise. Überhaupt keine. Ich habe höchstens die Nase voll. Das ist alles.
Wieder liege ich mitten in der Nacht wach. Nachdem ich um zwei Uhr Unmengen an Flüssigkeit ausgeschieden habe, ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Ich gräme mich nicht, sondern akzeptiere, dass mein Körper offenbar kaum noch Schlaf braucht.
Es ist viel zu kalt, um aufzustehen, und viel zu dunkel. Lesen ist auch zu anstrengend. Dabei hätte ich jede Menge neuer Bücher hier liegen. Der Bücherkaufrausch hat mich immer noch im Griff. Aber irgendwie muss ich den Nahrungsmangel ja kompensieren.
Wozu das alles? Wozu das Leben? Wenn man irgendwann begriffen hat, dass wir alle kleine Nichtse sind, die irgendwo in der Unendlichkeit für einen winzigen Moment leben, dann macht das alles für unser Gehirn keinen Sinn mehr.
Diese Gedanken sind nicht suizidal. Sie sind nur nüchtern und objektiv. Es geht nicht mehr um die große Frage danach, wer ich bin. Die Frage muss vielmehr lauten: Warum bin ich?
Viele Menschen sehen das emotional: Wir leben, um unsere Lebenszeit zu teilen, Liebe zu verbreiten, um aufeinander achtzugeben. Aber global oder gar universell und infinit betrachtet, hat jeder von uns die Bedeutung eines Sandkorns. Vielleicht sind wir aber auch so etwas wie Zellen in einem noch größeren, komplexeren Wesen in einem ganz anderen Kosmos jenseits unserer Vorstellungskraft. Und so wie jede Zelle in unserem Körper Sinn macht, würde dann auch jedes Wesen, ob menschlich oder nicht, Sinn machen.
Durch das Fasten scheint der Teil von mir, der Leben ist, mehr Platz zu haben. Es fühlt sich an, als wäre der Körper eine Begrenzung, um ganz und gar in diesen alles umfassenden Kosmos einzutauchen. Aber dann macht das körperliche Leben keinen Sinn mehr.
Ich suche. Ich weiß nicht, wonach. Weiß auch nicht, wer das ist, der sucht. Aber etwas in mir sucht. Es ist eine Sucht.
Gabi meint, ich solle mir mal was gönnen. Also hat sie mir Gemüsebrühe gemacht. Mit 50 Prozent Wasser verdünnt, ist sie ungenießbar. Und Gabi beteuert, dass das Zeug sogar unverdünnt nach nichts schmecke. Als sie mein Gemüsewasser probiert, rümpft sie die Nase und fragt, ob das Geruchsempfinden beim Fasten auch so intensiv sei. Ja! Sogar noch viel schlimmer. Ich rieche eine Bratwurst über ein ganzes Fußballfeld gegen den Wind.
Wenn ich Gabi anschaue, weiß ich wieder, warum ich lebe.
Nur noch drei Kilo bis zum Untergewicht. Und es
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