40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
kauf ich mir aber wirklich ’ne .45er-Magnum. Wollt ich schon immer haben.
Beim Blick aus dem Fenster habe ich wieder kurz gespürt, was mir in den vergangenen Tagen immer deutlicher bewusst geworden ist: Alles ist immer da. Ich kann es nicht anders beschreiben. Jeder Baum ist alles und nichts, hat alles und nichts. Jedes Blatt, jede Zelle genauso. Und dahinter ist eine Weite, die ich atmen kann. Es ist das Gefühl der Unendlichkeit. Da liegt die Freiheit, da ist das Ziel. Aber dieses Verstehen hält nur kurze Zeit an, ist nicht zu greifen, nicht zu begreifen. Einen Hauch davon habe ich aber gerade erfahren.
Wenn diese Ahnung, dieser Augenblick wieder verflogen ist, scheint mir, als hätte ich diese Empfindung des Einsseins mit allem nie erlebt. Auch habe ich das Gefühl, etwas von mir selbst herzugeben, wenn ich darüber schreibe. So, als würde ich die Erkenntnis verraten. Es ist schließlich meine Erkenntnis, mein Gefühl. Und es stimmt auch nur für den einen Moment. Wozu also darüber schreiben? Um das Erkannte nicht zu vergessen? Um zu beweisen, dass Fasten Erkenntnisse bringt?
Manchmal stelle ich mir die Unendlichkeit vor. Dann kommt es mir wie eine ganz besondere Ehre vor, diesen Moment, genau das Jetzt, bewusst zu erleben. Diese Milliarden von Jahren, die hinter uns und noch vor uns liegen. Inmitten der Unendlichkeit gibt es diesen Millimoment des Jetzt. Es fühlt sich berauschend an und gleichzeitig gewaltig, furchterregend und unfassbar. Und das Verrückteste daran: Dieser Millimoment ereignet sich ständig.
Wer sind wir, und wohin geht die Reise? Und warum genau 40 Tage? Ist das die Zeit, die man ohne Schäden überstehen kann? Vielleicht wenn man Glück hat.
Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine zum anderen: Scheiße, ich habe Homo sapiens. Sagt der andere: Nicht schlimm, das vergeht wieder.
Ich kasteie mich nicht mehr so. Manchmal trinke ich puren Saft. Nur ein Schlückchen. Aus reinem Genuss. Dabei schmeckt das Ganze nach purem Zuckerwasser. Nach 28 Tagen darf ich das aber.
Neunundzwanzigster Tag, 29. September
Friss oder stirb. Wer mit permanenter Fülle konfrontiert wird, sehnt sich nach Leere: nach einer Erlösung vom Zwang, alle Genussangebote akzeptieren zu müssen. Wer unaufhaltsam versorgt wird, beginnt nach Entzug zu streben. Daher ist es keineswegs verwunderlich, dass sich – gewissermaßen in Reaktion auf stets besetzte Supermarktregale – ein Typus alternativer Sinnstiftung etabliert hat: etwa in Gestalt pseudoasketischer Lebensweisheiten, die Verzicht und Enthaltsamkeit predigen.
THOMAS MACHO, Neue Askese? Zur Frage nach der Aktualität des Verzichts 8
Neunundzwanzigster Tag, 29. September
81,7 KILOGRAMM
Arzttermin: Ich erstrample 400 Watt und hätte noch mehr machen können. Das hab ich selbst am wenigsten erwartet. Der Arzt ist sprachlos, das Ergometer habe noch nie 400 Watt angezeigt. Ich habe mich seit Fastenbeginn um 100 Watt gesteigert. Nach vier Wochen bringt mein Körper die Wattzahl eines Leistungssportlers.
Gehen wir mal davon aus, dass das Ergometer funktioniert: Ist das dann nicht der beste Beweis dafür, dass das Fasten eine Wohltat für den Körper ist? Auch vier Wochen Fasten haben meinem Körper offenbar nichts ausgemacht. Uralte Schlacken wurden ausgespült, nichts blockiert mehr den Energiefluss. Dieses Ergebnis ist überwältigend. Wäre da nicht auch bei Leistungssportlern zu überlegen, ob sie vor großen Wettkämpfen fasten sollten?
Wieder kommt eine Kollegin zu mir in mein Büro, setzt sich mitleidsvoll zu mir und fragt, wie es mir denn ginge. Sie gehört zu den Frauen, die häufiger vergessen, ihre Zähne zu rasieren. »Gut«, sage ich. »Und wie lange musst du noch«, säuselt sie mit geneigtem Kopf. Ich antworte, dass ich nicht mit ihr darüber reden wolle. Ich möchte mir auch keine Kommentare mehr übers Fasten anhören.
Nach meinem Ergometertest hatte ich natürlich Auftrieb erhalten. Die mitfühlende Kollegin guckt irritiert, täuscht Betroffenheit vor, blinzelt gütig, schnappt kurz nach Luft und trollt sich. Dass die Leute jetzt schon mit einer Miene in mein Büro kommen, als hätte ihr Wellensittich seine Federn verloren, empfinde ich als lästig und aufdringlich.
Fototermin: Wir stellen meine Aktivitäten während des Fastens nach. Fotos vom Meditieren sind ja eigentlich völlig sinnlos. Ich kann auf jeden Fall nicht meditieren, wenn mich jemand dabei zu fotografieren versucht. Jetzt gerade zucken Blitze über mein Tagebuch. Wir
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