5 1/2 Wochen
Knall?“ Die sind aber „angeblich“ schon außer Hörweite.
In diesem Moment klingelt mein Handy. Meine Eltern wollen wissen, ob alles in Ordnung ist und ich gut angekommen bin. Ich erzähle voller Entsetzen von dem Vorfall und finde das als Auftakt für den „Camino mit Hund“ frustrierend. Ich hätte mich lieber lachend am Telefon gemeldet. Jetzt aber bin ich wütend und stelle fest, dass ich das lieber vor meinen Eltern verbergen würde. Getreu dem Motto: „Alles klar, kann nicht besser sein.“ Drei Minuten früher hätte ich das, ruhigen Gewissens, sagen können.
Am Ortsrand gibt es eine Hauptverkehrsstraße, auf der unerwartet viel los ist. Gegenüber, auf einem Hügel gelegen, entdecke ich einen kleinen Park mit einem riesengroßen Spielplatz. Von hier oben hat man einen wunderschönen Blick auf Saint Jean Pied de Port. Ich halte inne und realisiere jetzt erst, dass in diesem kleinen Ort mein ganz persönlicher Camino anfängt.
Ich setzte mich auf eine der Stufen, die zur Stadt hinunterführen, atme tief durch und höre in mich hinein. Was hab ich mir da vorgenommen? Fast 800 Kilometer liegen vor mir! Mit anderen Worten: Zu Fuß von Hamburg nach München laufen! Ich soll über die Pyrenäen wandern? Hätte besser doch ein bisschen trainiert, anstatt mich wochenlang nur auf meinen Rucksackinhalt zu konzentrieren! Auf einmal bin ich total verunsichert. Mein Vater hat vielleicht Recht, wenn er sagt: „Du machst immer Sachen, ohne vorher zu überlegen. Du bist ein bisschen „bekloppt“. Typisch Tochter!“ Moment mal: Das kann ich so nicht stehen lassen, oder?! Ich habe in den letzten Wochen viel gegrübelt, aber jetzt ist die Zeit der Taten gekommen. Frohen Mutes steige ich die Treppe hinab. Nur das TUN zeigt, ob es geht. Da bringt alles Nachdenken gar nichts. Es kommt eh immer anders, als man denkt.
Als mir bewusst wird, wie viele Pilger hier rumlaufen, werde ich doch so langsam unruhig und suche lieber sofort ein Zimmer. Der Stadtplan zeigt mir ganz in der Nähe eine Herberge auf der „Hauptgasse“ in der Altstadt und ich begebe mich dorthin. Die Französinnen habe ich nicht mehr gesehen. Vielleicht sind sie ja in einen der vielen Rucksäcke gehüpft, um mal aus ihrem Dorf raus zu kommen und den Camino kennenzulernen.
Die Herberge ist ein uraltes Gebäude von 1500-irgendwas mit einer Holztreppe, die teilweise Löcher in den Stufen hat. Die Empore weist eine starke Neigung zur Raummitte auf, so dass Ruddi schon mal gleich streikt und keinen Schritt mehr weitergeht. Er denkt bestimmt, wie ich, dass die Holzkonstruktion jeden Moment zusammenbricht. Das Zimmer hat große Schimmelflecken an den Wänden und der Decke. Die fünf Betten sind klamm. Kein Wunder! Das einzige Fenster gewährt lediglich Aussicht auf die baufällige innen liegende Empore. Super - zu fünft in einem Raum ohne Frischluftzufuhr schlafen! Eigentlich will ich nur noch weg - aber wohin? Vielleicht ist das hier normal! Ich bin jetzt ein Pilger, oder? Soll ich weinen? „Nein, nimm es, wie es ist“, flüstert meine innere Stimme.
Ich teile das Zimmer mit drei Mädels aus München. Glücklicherweise akzeptieren sie meinen Hund, ansonsten wäre der Herbergsvater hart geblieben und hätte mich weggeschickt. Tiere haben in Herbergen nämlich nichts zu suchen! Warum? Sie könnten Flöhe oder ähnliches Getier einschleusen. Ach so! Schimmel und feuchte Matratzen sind aber erlaubt, oder was?! Nachdem ich den Rucksack abgestellt und noch ein paar Sätze mit den Münchnerinnen gewechselt habe, stürze ich mich ins pralle Leben des zuckersüßen Örtchens.
Also, ich gehe jetzt nicht zum Tanzen oder in die Disco, sondern Ruddi spaziert mit mir noch einmal durch den Ort. Unter anderem wage ich einen Blick auf den Startpunkt des Camino Francés und kann es kaum glauben: Das geht ohne sichtbares Ende weiter so steil hoch wie im Ort - ach du lieber Himmel! Da komm ich nie hoch! Eigentlich war das von Anfang an klar. Es gilt, knappe 1300 Höhenmeter zu überwinden. Ich schieße ein paar Fotos, um das Unfassbare auch meinen Mitbewohnerinnen zu zeigen. Während des Sonnenuntergangs, der mich wieder versöhnlich stimmt, spazieren wir am Ufer der Nive entlang und kommen über eine mittelalterliche Brücke zurück zum Ortskern.
Ich treffe wieder auf die beiden Mädels, die höchstwahrscheinlich Zimmer vermieten und noch einmal versuchen sie in Französisch, Deutsch und mit Händen und Füßen mich irgendwo hinzubewegen. Die gute Laune dieser Frauen
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