5 1/2 Wochen
Hier nimmt sich jeder sein Geschirr, Besteck und das was er verzehren möchte.
Zu Essen gibt es Weißbrot, Margarine, rote und gelbe Marmelade. Auf dem Tisch finde ich Milch, eine Kanne Wasser und Kaffee. Dieser ist kalt und so stark, dass der Löffel darin stehen bleibt. Das Brot ist steinhart. Ich muss es in den Kaffee eintunken oder meine Zähne opfern. Schade, dass ich Margarine und Marmelade drauf habe. Was mach ich jetzt? Ohne Essen komm ich ja noch zurecht, aber ohne Kaffee kann mein großes Abenteuer nicht beginnen. Ich bin schon wieder enttäuscht - sehr enttäuscht. Ich habe mich auf ein „richtiges“ Frühstück gefreut. Da ist die Stimme wieder: „Nimm es, wie es ist.“ Also schütte ich viel Milch in den Kaffee, und da dieses Gemisch kalt ist, kann ich das Brot auch darin aufweichen, ohne dass die Margarine sich sofort verflüssigt. Fettaugen hab ich trotzdem auf dem „Kaffee“. Na lecker! Jeder, der zu Ende „gefrühstückt“ hat, spült sein Geschirr und putzt den Platz auf dem Tisch sauber bevor er den Raum verlässt. Ach, so läuft das also in den Herbergen!
Zwei, drei Leute saßen schon hier, als ich den Raum betreten habe. Sind das auch Pilger? Ich weiß es nicht. Vielleicht gehören sie ja auch zur Herberge. Sie sprechen Französisch. Nach und nach trudeln meine Münchnerinnen ein und die beiden Französinnen, die ja wohl hier arbeiten oder denen die Herberge gehört. Ich finde sie außergewöhnlich nett und lustig, eben gut drauf und sie babbeln direkt munter drauflos. Hilfe! Ich versteh nix!
Jetzt rede ich mal einfach drauflos! Sie sollen wissen, wie anstrengend das ist, wenn man die andere Sprache so gar nicht versteht und versuche, sie auf Deutsch zu fragen, wie man den Fluss „Nive“ ausspricht. Eine der beiden guckt mich erheitert und entsetzt zugleich an: „No german, please. Don’t speak german, please (Kein Deutsch, bitte. Sprich kein Deutsch, bitte!!)“ Ich versuch es auf Englisch. Das geht! Sie will mir klarmachen, dass sie das doch nicht wüsste, woher auch. „Die will mich doch hochnehmen“, denke ich und sage lachend: „It is your river. You know it. (Es ist euer Fluss. Du weißt es).“ Sie antwortet: „It is not my river, I don’t know it. (Das ist nicht mein Fluss. Ich weiß es nicht).“ Ich bleibe dran: “Please, tell me how you say NIVE. (Bitte, sag mir, wie NIVE ausgesprochen wird).” Sie, leicht irritiert, aber fröhlich, fast singend: “I don’t know it. I’m from Vancouver, Kanada, I am a pilgrim. My girlfriend, too. (Ich weiß es nicht. Ich bin aus Vancouver in Kanada. Ich bin Pilgerin. Meine Freundin ebenfalls).”
Schön langsam und Stück für Stück verarbeite ich diese unglaubliche Information. Die fürsorglichen „Herbergsmütter“ sind also auch Pilger. Ich breche in schallendes Gelächter aus. Die beiden Frauen gucken mich fragend an, und ich erzähle ihnen, was ich seit gestern Nachmittag über sie gedacht habe. Sie lachen mit und erklären, dass sie mir lediglich helfen wollten, eine der letzten Unterkünfte zu erhaschen. Wie nett von ihnen, die kennen mich doch gar nicht, staune ich. Und wir wissen jetzt, dass wir uns wohl am besten auf Englisch unterhalten, das sprechen sie nämlich so perfekt wie Französisch. Verstehen kann ich Englisch sehr gut und das Sprechen üb ich noch in den nächsten Wochen.
Beide Frauen tragen ein blaues Kunststoffarmband mit gelben Pfeilen drauf. Es ist sehr auffällig und zieht wiederholt meinen Blick an. Ich mache keinen Hehl aus meinem Interesse und erfahre, dass es den Camino mit seinen Wegweisern symbolisiert. Der Schmuck war mir bereits bei unserer ersten Begegnung aufgefallen. Ich wusste aber nicht, was er zu bedeuten hat. Ich bin total begeistert und möchte auch so ein Armband haben. Bin gespannt, wo und wann ich das finde.
Sie heißen übrigens Mary und Lynn. Ich soll immer an Marilyn Monroe denken, dann könnte ich ihre Namen nie mehr vergessen, raten sie mir. Sie haben vor, auf mich, und insbesondere auf Ruddi, aufzupassen und prophezeien mir (wie auch die Münchnerinnen) ich bekäme sicher noch große Probleme wegen ihm. Besonders in Spanien mag man angeblich keine Hunde und schon gar nicht in Pensionen, Hotels oder gar Herbergen.
Ich versuche, ohne diesen negativen Gedanken, fröhlich und endlich den Jakobsweg anzutreten. Ich hole meinen Rucksack, verabschiede mich von den Frauen und wünsche zum ersten Mal einen „buen Camino“. Der Herbergsvater erinnert mich daran, vielleicht auch
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