58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
sie:
„Wie Sie wollen, Herr Haller“, sagte sie. „Ich gebe Ihnen ganz recht, die Zeit abzuwarten, in welcher ich aufmerksamer sein kann als heute. Adieu!“
Sie nickte ihm kurz zu und ging. Emma machte ihm eine hochfeine, vornehme Verbeugung und folgte ihr. Er blickte noch einige Sekunden lang nach der Tür, als diese sich hinter ihnen geschlossen hatte, strich er sich nachdenklich über die Stirn und wendete sich dann an seine Wirtin:
„Fräulein König hat Ihnen erzählt, daß wir einander begegnet sind?“
„Ja“, antwortete sie, da sie unmöglich leugnen konnte.
„Wir sahen uns wiederholt in eigentümlicher Situation, doch war nicht ich der Urheber derselben. Wie aber konnte Fräulein König wissen, daß ihr Bekannter von Tharandt und Dresden aus es ist, der bei Ihnen wohnt?“
„Derjenige, welcher auch an allem anderen die Schuld trägt, Ihr kleiner, dicker Herr Kollege, hat es verraten.“
„Wieso?“
„Sie erzählten gestern abend von ihm.“
„Ich entsinne mich allerdings.“
„Und Fräulein König erzählte von ihm. Die Beschreibung der Person stimmte ganz genau, und so mußten Sie es sein, der bei ihm gewesen war.“
„Ja, so läßt es sich erklären. Aber dieser Fächer hier; wem gehört er? Vielleicht Fräulein Köhler?“
„Nein. Ah, den hat ihre Freundin vergessen. Wie schade!“
„Spricht sie öfters hier vor?“
„Nein. Darum wird sie den Fächer vermissen.“
„Aber sie kann noch nicht weit sein. Vielleicht gelingt es mir noch, sie zu ereilen.“
Er nahm den Fächer und ging. Sie machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Als er aus dem Haus trat, konnte er die Gesuchte nicht erblicken; aber nachdem er eine Strecke rasch zurückgelegt hatte, sah er sie mit Madelon. Er verdoppelte seine Schritte. Sie gingen jetzt an dem Torweg vorüber, an welchem der Dicke seine heutige Niederlage erlitten hatte, und traten dann in das nächste Haus.
Als er nach einigen Augenblicken die Tür desselben erreichte, hörte er oben das Glockenzeichen geben; sie befanden sich also jedenfalls noch auf dem Vorsaal. Er eilte rasch die Treppe hinauf, aber als er oben ankam, sah er bereits die Flügeltür aufstehen und die Damen im Begriff, einzutreten. Der Diener, welcher geöffnet hatte blickte ihn fragend an, er aber sagte laut:
„Fräulein König, Entschuldigung.“
Sie hörte es und wandte sich zurück. Als sie ihn mit dem Fächer erblickte, glitt es wie ein rascher Entschluß über ihr Gesicht; sie blieb im Vorzimmer stehen, winkte ihn mit der Hand näher und sagte:
„Da habe ich meinen Fächer vergessen, und Sie sind so gütig, sich damit zu belästigen. Bitte, treten Sie näher!“
Er dachte gar nicht daran, den Namen zu lesen, welcher mittelst eines Schildes an dem linken Türflügel befestigt war. Er trat ein; der Diener verbeugte sich und zog die Tür hinter sich zu. Haller war gefangen, ohne zu ahnen, wo er sich befand. Er dachte bei der Herrschaft der vermeintlichen Gouvernante zu sein.
Emma nahm den Fächer aus seiner Hand, bedankte sich mit einem freundlichen Nicken und sagte dann:
„Bitte, haben Sie die Güte, näher zu treten!“
Dabei hatte sie auch bereits den Drücker der nächsten Tür in der Hand. Er erschrak und beeilte sich, Einspruch zu erheben.
„Unmöglich, Fräulein!“ sagte er. „Erlauben Sie mir vielmehr, mich zurückzuziehen.“
Jedenfalls wohnte hier Frau von Goldberg. Wie sollte er vor dieser erscheinen, die Zeugin der fatalen Rutschfahrt gewesen war! Auch hatte er den einfachen Straßenanzug an und kein salonfähiges Gewand.
„Warum?“ fragte sie, während ein Lächeln ihr Gesicht erhellte, welches er sich nicht zu deuten wußte.
„Ich bin im Haus des Herrn Generals von Goldberg ein Fremder!“ antwortete er.
„Von Goldberg? Sie befinden sich ja gar nicht im Haus dieses Herrn, sondern bei mir, bei meinen Verwandten!“
„So habe ich mich geirrt. Das ist etwas anderes!“
Bei den Verwandten einer Gouvernante, bei einer bürgerlichen Familie König brauchte er sich nicht zu genieren, meinte er.
„So bitte. Treten Sie ein!“
Sie öffnete die Tür. Rechts am Eingange stand sie, links Madelon. Als er, zwischen ihnen hindurchgehend das nächste Zimmer betrat, fing er von beiden einen höchst befremdenden Blick auf. Solche Augen beobachtet man auf der Bühne in Szenen, wo Intrigantinnen einen Sieg errungen haben.
In dem Zimmer befand sich nur eine einzige Person. Ein alter Herr mit eisgrauem Haar und ebensolchem Schnurr- und Backenbart
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