58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
hin; die letztere aber fühlte sich öfters bewogen, den Erzieher durch einen freundlichen Blick zu belohnen.
Da, fast am Schluß des Mahls, trat der Kapitän ein. Er wußte nichts von Emmas Anwesenheit und kam näher. Er stand gerade hinter ihr, als alle sich zum Gruß erhoben. Sie drehte sich um. Er blickte ihr in das Gesicht, fuhr entsetzt zurück und rief:
„Margot! Schwester! Hölle und Teufel!“
Alle schwiegen vor Schreck; nur zwei blieben sich gleich: Müller und Alexander. Der erstere hatte so etwas erwartet und der Knabe sagte, halb lachend:
„Du irrst, Großpapa! Diese Dame ist ja Miß de Lissa aus London, welche mit verunglückt ist.“
Wohl nie in seinem ganzen Leben hatte der Alte sich in einer solchen Verlegenheit befunden, wie gerade jetzt. Er verbeugte sich tief und stammelte:
„Miß de Lissa?“
„Ja, meine Freundin“, fügte Marion hinzu.
„Aus London? Wirklich aus London?“
„Ja.“
„Verzeihung, Miß! Ich bin alt und gerade jetzt so leidend. Ich sah heute die Unglücksstelle an der Bahn und kann den schrecklichen Gedanken nicht wieder loswerden. Ich bin nervös. Ich werde mich wohl bald wieder zurückziehen müssen!“
Er aß sehr wenig. Auf dem Tisch stand nur ein leichter, weißer Moselwein.
„Der Rote wird mich vielleicht stärken!“
Mit diesen Worten erhob sich der Alte und trat an das Büffet, welches an der Wand stand. Müller ließ ein leises Räuspern hören; der Amerikaner blickte zu ihm herüber, erhielt einen Wink und verstand denselben. Beide beobachteten den Alten scharf, ohne daß es den anderen auffallen konnte. Er schenkte sich ein Glas Wein ein, dabei drehte er den Anwesenden den Rücken, zu. Dabei zog er mit der Linken etwas aus der Tasche. Was er tat, war nicht zu sehen; aber aus seinen Bewegungen ließ sich vermuten, daß er etwas – jedenfalls eine Flüssigkeit – in eines der dort stehenden leeren Gläser träufeln ließ. Dann führte er die Hand zur Westentasche zurück und setzte sich wieder an seinen Platz.
Müller ließ ein leises Lächeln sehen, welches nur von dem Amerikaner bemerkt wurde. Dieser senkte bejahend den Kopf. Er erwartete nun das neue Kommando.
Der Alte hatte ausgetrunken. Er trat abermals zum Tisch und goß sich sein Glas voll, dann ein zweites, welches er dem Amerikaner präsentierte.
„Sie müssen heute verzeihen, Monsieur Deep-hill“, sagte er. „Morgen werde ich wieder au fait sein. Damit ich aber die Pflicht der Gastlichkeit nicht ganz und gar verletze, will ich mir erlauben, mit Ihnen auf ein herzliches Willkommen anzustoßen. Lassen Sie uns austrinken!“
Er trank aus. Der Amerikaner warf einen fragenden Blick auf Müller; dieser nickte heimlich und aufmunternd, und so hob auch er sein Glas zum Mund und leerte es mit einem einzigen Zug.
Nun wünschte der Alte gute Nacht und ging. Man musizierte noch ein wenig, wobei Emma einige englische Lieder vortrug. Hier nahm Deep-hill Gelegenheit, an Müller heranzutreten und zu flüstern:
„Er hatte erst etwas ins Glas gegossen!“
„Ich sah es auch.“
„Aber wenn es nun wirklich Gift gewesen wäre!“
„Haben Sie keine Sorge; es war Wasser!“
„Was nun?“
„Lassen Sie alles ruhig über sich ergehen. Ich wache! Während er bei Ihnen ist, stehe ich zu Ihrer Hilfe bereit. Ist es möglich, so zeige ich mich Ihnen sogar. Blicken Sie zwischen den Lidern hindurch!“
Nach einiger Zeit verabschiedete sich Emma. Sie wurde nach der Stadt gefahren. Der Amerikaner wollte sie begleiten, doch sie lehnte dankend ab und erbat sich die Begleitung Müllers. Das hatte ganz den Anschein, als treffe sie diese Wahl nur darum, weil Deep-hill der Höherstehende und Müller doch eigentlich der Bedienstete war, doch der erstere wußte wohl, daß die beiden Geschwister jedenfalls miteinander zu sprechen hatten, und nahm daher die Zurückweisung, welche übrigens gar keine war, nicht im mindesten übel.
Es war sehr dunkel geworden. Die Geschwister konnten halblaut miteinander sprechen, ohne von dem Kutscher gehört zu werden.
„Ich bebe jetzt noch“, sagte Emma. „Der Kapitän hielt mich für Großmama Margot!“
„Ich hatte mir fast so etwas gedacht, obgleich ich nicht geglaubt habe, daß du ihr in diesem Grad ähnlich bist, zumal du blond bist, während sie schwarzes Haar hatte.“
„Was wird er denken?“
„Das ist mir zunächst sehr gleich. Mich interessiert jetzt nur das Verhalten des Wahnsinnigen, des Barons de Sainte-Marie.“
„Was wollte er? Er sprach von der
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