58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
dich nicht zu mir einladen zu können, aber es geht ja nicht.“
„Nein; das dürfen wir nicht wagen, lieber Freund. Wir müssen vorsichtig sein. Ich fahre mit dem letzten Zug nach Metz, da bin ich daheim.“
„Was hättest du getan, wenn ich nicht hier vorübergegangen wäre?“
„Ich hätte bis zum Dunkel gewartet und es dann auf irgendeine Art bewerkstelligt, zu dir zu kommen.“
„Ein anderes Mal gehst du zu Doktor Bertrand und fragst nach dem Kräutersammler Schneeberg.“
„Werde es mir merken. Aber höre, Richard, ist es nicht, daß wir zwei kleine Rittmeisterchen hier im Feindesland stehen mit dem stolzen Bewußtsein, daß im Kriegsfall das Gelingen zum nicht geringsten Teil mit von unserer jetzigen Tätigkeit abhängt?“
„Es mag so sein. Darum wollen wir die Augen offenhalten und nicht müde werden in der Erfüllung unserer Pflicht. Gute Nacht, lieber Arthur.“
„Gute Nacht, lieber Richard. Frohes Wiedersehen!“
SIEBENTES KAPITEL
Das Druckmittel
Als Müller nach Ortry kam, fand er das Speisezimmer erleuchtet. Seit er sich seinen Platz am Tisch erzwungen hatte, hatte er dort Zutritt, und er säumte heute nicht, sich hinzubegeben. Er fand Marion, Emma, den Amerikaner und die Baronin. Letztere war von der Neugierde herbeigetrieben worden, vor Tisch die Engländerin kennen zu lernen.
Emma spielte ihre Rolle ausgezeichnet und mit wunderbarer Ungezwungenheit. Sie wäre von jeder Engländerin für eine Landsmännin gehalten worden.
Müller wurde von allen außer der Baronin höflich empfangen und als vollständig ebenbürtig behandelt. Er nahm sehr wenig am Gespräch teil und zog es vor, der Unterhaltung zu lauschen und seine Betrachtungen anzustellen.
Marion und Emma nannten sich bereits du. Der Blick des Amerikaners hing bewundernd an der letzteren. Er war ein hochbegabter und fein gebildeter, kenntnisreicher Mann und bemühte sich, Emma Gelegenheit zu geben, die Vorzüge ihres Geistes zur Geltung zu bringen.
Wenn Müller ja einmal in hochachtungsvoller Weise, wie es ihm als Erzieher zukam, sein Wort an Emma richtete und sie ihm dann in jener freundlich auszeichnenden und doch sichtlich herablassenden Weise antwortete, wie der wirklich gebildete Aristokrat einem verdienten Bürgerlichen gegenüber zu tun pflegt, dann glänzten die Augen des Amerikaners vor Freuden über die Meisterschaft, mit welcher diese beiden ihre Rollen spielten.
Während dieser angeregten Unterhaltung öffnete sich leise die eine Tür, welche im Schatten lag und – der Baron trat ein, in jetziger Zeit eine Seltenheit, man hatte wohl vergessen, ihn in seinem Zimmer einzuschließen.
Niemand bemerkte ihn. Er trat leise, unhörbar näher, bis dahin, wo der volle Strahl des Lichts auf den Kopf Emmas fiel. Er stieß einen schrillen Schrei des Entsetzens aus, so daß alle erschrocken aufsprangen.
„Das ist sein Gesicht, aber er ist es nicht ganz!“ schrie er, die Arme abwehrend von sich streckend und die weit aufgerissenen Augen starr auf Emma gerichtet. „Ich kann ihm ja nichts tun! Er ist wieder lebendig geworden! Er wohnt da unten im Keller des Mittelpunktes!“
Diese unerwartete Szene brachte natürlich einen sehr peinigenden Eindruck hervor. Auf Marions Gesicht spiegelte sich das tiefste Mitleid ab. Der Amerikaner blickte ganz erstaunt auf den Mann, von dessen Vorhandensein er keine Ahnung hatte; Müller und Emma wechselten zwei schnelle, unbeobachtete Blicke. Das Gesicht des ersteren war leichenblaß geworden.
„Es ist der Verrückte“, sagte die Baronin kalt. „Schaff ihn fort und schließe ihn ein, Marion.“
Marion nahm den Kranken am Arm.
„Komm, Vater“, sagte sie in mildem Ton.
Er ließ sich von ihr leiten; aber noch unter der Tür drehte er sich einmal um und klagte:
„Ich bin nicht schuld! Er lebt ja noch! Die Kriegskasse, oh, die Kriegskasse!“
Die Tür schloß sich hinter ihm; aber man hörte ihn draußen noch fortwimmern, bis er sein fernes Zimmer betreten hatte und dort eingeschlossen worden war.
Die Unterhaltung war gestört und kam auch nicht wieder in den rechten Fluß, bis die Tafel gedeckt war. Der Kapitän, welcher davon benachrichtigt wurde, ließ sagen, daß man beginnen solle, er werde später kommen.
Jetzt kam auch Alexander, so daß sechs Personen soupierten.
Der Amerikaner saß neben Emma und suchte ihr auf alle Weise seine Aufmerksamkeit zu erweisen. Müller hatte die Baronin und Marion zu bedienen. Die erstere nahm dies hochmütig als etwas ganz Selbstverständliches
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