58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
war in der Spitzbubenkneipe des Vater Mains. Ich ging als Pseudogauner hin, um meine Studien zu machen und zu horchen. Da verkehrte er.“
„Und jetzt?“
„Fort, weg.“
„Wohin?“
„Das weiß der Teufel! Herrgott, ich könnte mich ohrfeigen, zehn Stunden lang! Das hätte ich wissen sollen. Was hat er denn hier in Thionville verbrochen?“
Müller erzählte den Mord der Seiltänzerin möglichst kurz, aber doch ausführlich genug, und daran schloß Hohenthal den Bericht seiner Erlebnisse in Paris. Er war noch im Erzählen, da kehrte Marion de Sainte-Marie aus der Stadt zurück. Neben ihr im Wagen saß – Emma von Königsau. Jene hatte nicht mit Bitten nachgelassen, bis die so schnell und herzlich liebgewonnene Freundin eingewilligt hatte, den Abend mit auf dem Schloß zuzubringen.
Sie konnten im Vorüberfahren nicht in die grünumrankte Laube blicken, während die beiden Männer deutlich sahen, wer im Wagen saß. Hohenthal sprang auf.
„Sieh, Richard, sieh!“ rief er ernsthaft aus.
„Was denn?“ fragte Müller trocken.
„Das war die Baronesse wieder.“
„Nun ja. Du bist ja ganz und gar in Ekstase.“
„Hast du denn die andere gesehen?“
„Ja.“
„Kanntest du sie?“
„Du etwa?“
„Natürlich. Mensch, das war ja deine Schwester!“
„Allerdings.“
Hohenthal machte ein Gesicht, als ob er befürchte, daß der Freund verrückt geworden sei.
„Allerdings“, ahmte er ihm ganz verblüfft nach. „Das sagst du so ruhig.“
„Allerdings“, wiederholte Müller gleichmütig.
„Die Gazelle in der Höhle des Löwen.“
„Sie steht unter meinem Schutz.“
„Kerl, du mußt bedeutend an Macht und Selbstvertrauen gewachsen sein.“
„Ja, man wächst.“
„So wachse du und der Teufel!“ rief Hohenthal ärgerlich. „Sagt mir dieser buckelige Erzieher vorhin, daß seine Schwester verreist sei, aber wohin, daß hat er verschwiegen.“
„Wozu die überflüssigen Worte? Ich ahnte, daß Marion Emma holen werde, und so verstand es sich ganz von selbst, daß du sie sehen mußtest.“
„Marion? So also heißt sie?“
„Ja, zu dienen.“
„Bist du schon so weit mit ihr, daß du sie bei ihrem Vornamen rufst?“
„Ja.“
„Herrgott, macht dieser Mensch riesenhafte Fortschritte!“
„Es ist nicht so schlimm. Ich nenne sie beim Vornamen, aber nur ausnahmsweise, nämlich wenn sie nicht dabei ist und es also nicht hört.“
„Das kann ich mit meiner Ella auch, alter Schwede.“
„So tue es; ich habe nichts dagegen.“
„Wollte mir es auch verbeten haben. Aber ich kann noch gar nicht begreifen, daß deine Schwester in Ortry sein soll.“
„Schwester. Hm. Sie ist eine Engländerin.“
„Ah! Wieso?“
„Heißt Miß Harriet de Lissa und ist aus London.“
„Jetzt steht mir der Verstand still. Was will sie denn?“
„Ihre zukünftige Schwägerin kennen lernen.“
„Deine Marion?“
„Ja. Du hast ja gesehen, daß sie schon ganz dicke Freundinnen sind! Aber du hast dich ganz aus der Fassung bringen lassen und den Faden deiner Erzählung verloren.“
„Es ist auch danach. Du weißt doch, daß ich deiner Schwester seinerzeit den Hof machte.“
„Und riesig!“
„Ich liebte sie.“
„Unendlich.“
„Ich betete sie an.“
„Als wäre sie eine Göttin und du ein armer Paria.“
„Ich dichtete sogar Lieder auf sie.“
„Ja, Sonette.“
„Hymnen und Oden.“
„Die Schrift war nicht übel; aber die Gedichte taugten den Teufel. Sie wanderten alle in den Ofen.“
„Wirklich?“
„Gewiß.“
„Ihr Barbaren! Welch ein Undank! Ich ging ganz in deiner Schwester auf.“
„Und ans Billard!“
„Ich schickte ihr täglich einen Strauß.“
„Die Ziege unseres Wirtes bekam ihn zu fressen.“
„Dann stellte sich leider heraus, daß ihr Herz zu klein für mich sei.“
„Weil das deinige zu groß für sie war. Es wohnten stets ein Dutzend andere darin.“
„So ging die Sache futsch.“
„Gott sei Lob und Dank!“
„Aber dennoch halte ich noch große Stücke auf sie.“
„Schneide dir nach Belieben kleine Stücke davon herunter.“
„Du bist herzlos.“
„Desto entwickelter ist das deinige.“
Beide lachten herzlich übereinander, und dann nahmen sie wieder Platz, damit Hohenthal in seiner Erzählung fortfahren möge. So saßen sie, bis das Dunkel des Abends hereinbrach, ihre Gedanken, Meinungen und Erlebnisse austauschend. Sie lernten voneinander, und als sie sich endlich erhoben, um zu scheiden, sagte Müller:
„Wie leid tut es mir,
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