58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
der Zug entgleisen werde!“
„So ist es auch.“
„Aber bitte, das ist ja unmöglich.“
„Ich habe es aus Verschiedenem geschlossen, kam aber allerdings mit einem Schluß erst dann zustande, als wir uns dem Ort bereits so nahe befanden, daß das Unglück nicht mehr zu verhüten war.“
Des Alten bemächtigte sich eine Aufregung, welche er nur durch seine ganze Selbstbeherrschung verbergen konnte.
„Darf ich wissen“, fragte er, „welche Prämissen Sie hatten, um diesen Schluß zu ziehen?“
Der Amerikaner zögerte mit der Antwort, er blickte ein kurzes Weilchen lang hinaus ins Weite. Seine Züge hatten einen Ausdruck der Starrheit angenommen, wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann. Er ging mit sich über das zu Rate, was er beantworten solle. Endlich sagte er:
„Man hatte es bei dieser Entgleisung nicht auf den Zug, sondern auf mich abgesehen.“
Der Kapitän erschrak, versuchte aber, dies zu verbergen.
„Auf Sie?“ sagte er. „Unmöglich!“
„Sogar ganz gewiß.“
„Das ist nicht denkbar!“
„O im Gegenteil leicht erklärlich! Man wußte, daß ich mit diesem Zug kommen werde und daß ich sehr bedeutende Summen bei mir trage.“
„Nun? Weiter!“
„Man beschloß, den Zug entgleisen zu lassen, und dann bei meiner Leiche die volle Brieftasche zu finden.“
Jetzt mußte der Alte sich aufs äußerste anstrengen, um sich nicht zu verraten. Er räusperte sich, er zog an den Spitzen seines Schnurrbarts. Endlich stieß er hervor:
„Das klingt wie Wahnsinn!“
„Ist aber die nackte, wahre Wirklichkeit!“
„Beweise!“
„Man hat mich ja bereits für tot gehalten und mir, während ich im umgestürzten Coupé lag, die Brieftasche abgenommen.“
„Alle Teufel!“
„Ja, so ist es!“
„Aber das beweist ja noch nichts. Man hat die Brieftasche wahrscheinlich zufällig bei Ihnen gefunden.“
Der Amerikaner zögerte, mehr zu sagen. Die Physiognomie des Alten gefiel ihm ganz und gar nicht. Dieser aber meinte nun im zuversichtlichen Ton:
„Sie sehen also, daß Ihre Vermutung hinfällig ist.“
„Möglich. Übrigens hätte ich mir nicht erklären können, wie man von meiner Brieftasche erfahren konnte.“
„Es wissen ja nur zwei, daß Sie erwartet werden, nämlich Graf Rallion und ich.“
„Und Sie beide werden sich jedenfalls gehütet haben, unser Geheimnis auszuplaudern!“
„Gewiß. Aber, Sapperment, wie steht es denn da mit Ihrem Portefeuille? Es ist fort?“
„Es war fort. Ich habe es wieder.“
„Ah! Man hat es dem Dieb abgenommen?“
„Den Dieben. Es waren zwei.“
„Ah! Dieselben, welche entkommen sind?“
Der Amerikaner blickte erstaunt auf. Er war in Gesellschaft von Emma von Königsau so sehr mit Hilfeleistungen beschäftigt gewesen, daß er auf die anderen Vorgänge gar nicht geachtet hatte.
„Entkommen sind die beiden da oben im Coupé?“ fragte er.
„Ja. Der Offizier hat sie entkommen lassen. Jetzt steht man im Begriff, ihnen nachzujagen.“
„Welch eine unbegreifliche Nachlässigkeit! Das ist –“ er hielt inne und blickte nachdenklich vor sich hin, dann fuhr er fort:
„Doch ich hoffe, daß man sie wieder ergreift!“
„Jedenfalls, Monsieur! Also, Sie werden mein Gast sein. Leider habe ich nicht Zeit, mich länger hier zu verweilen. In welcher Weise werden Sie diesen Ort verlassen?“
„Jedenfalls in einem der Bahnwagen da oben.“
„Schön! Werden Sie mir erlauben, Ihnen meinen Kutscher zum Bahnhof zu senden?“
„Ich werde diese Aufmerksamkeit zu würdigen wissen.“
„Dann Adieu für jetzt!“
Sie reichten sich höflich die Hände, und dann entfernte sich der Alte, um zu seinem Pferd zurückzukehren, welches jenseits des Damms ruhig graste.
Als sich die Nachricht verbreitete, daß die Gefangenen verschwunden seien, und eine Anzahl Soldaten abgeschickt wurden, ihre Spur zu suchen, schloß Fritz sich ihnen an. Er fühlte sich in einer geradezu wütenden Stimmung über diesen Streich, mußte aber bald einsehen, daß er zur Wiederhabhaftwerdung der Entsprungenen nichts beizutragen vermöge. Er hatte keine Zeit, nach ihnen in der Gegend herumzulaufen. Er kehrte also nach der Unglücksstätte zurück.
Gerade als er zwischen den Büschen hervortreten wollte, erblickte er den alten Kapitän, welcher vom Damm herabkam, um zu seinem Pferd zu gehen. Zu gleicher Zeit sah man einen Reiter und eine Reiterin quer über die Wiese herbeigesprengt kommen. Es war Doktor Müller mit Marion.
Der Alte bemerkte diese beiden und blieb
Weitere Kostenlose Bücher