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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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noch mitzuteilen. Für jetzt aber ist die Hauptsache: Meine Herren, haben Sie sich überzeugt, daß dieses Grab keine Leiche enthält?“
    „Ja, vollständig, jawohl“, lautete die mehrstimmige Antwort rundum.
    „Sind Sie bereit, das zu beschwören?“
    Wieder ein lautes Ja.
    „So werden wir nachher drin in der Stube das Protokoll anfertigen. Vorher aber mag der Totengräber das Grab wieder zuwerfen, doch auch den Deckel möglichst behutsam wieder auflegen.“
    „Das kann er ganz allein tun“, meinte der Amtmann.
    „Nein! Ich habe meine Gründe, Sie zu bitten, hierzu bleiben, bis er mit der Arbeit fertig ist.“
    „Warum?“
    „Weil ich überzeugt bin, daß man heute nacht kommen wird, um uns einen Streich zu spielen, indem man eine Kindesleiche in das Grab eskamotiert.“
    Der Totengräber hatte diese Worte auch gehört. Er riß den Mund auf, als hätte er den Kinnbackenkrampf. Auch die anderen waren von demselben Erstaunen ergriffen.
    „Herr, allen Respekt vor Ihrem Scharfsinn“, sagte der Amtmann; „aber vor zwanzig Jahren eine Leiche hier fortgestohlen und heute eine wiederbringen – es scheint allerdings, daß Sie allwissend sind.“
    „Das ist er, das ist er!“ bestätigte der Förster. „Und wenn er jetzt sagt, daß wir da in dem nächsten Grab einen Tragkorb voll Apfelsinen finden, so schwöre ich Stein und Bein, daß es so ist. Also zuschütten, mein Allerwertester! Ich helfe mit.“
    Bei der vereinigten Anstrengung der beiden Männer war die kleine Grub bald zugefüllt. Das Aufsetzen des Hügels wurde für später gelassen. Man begab sich in die warme Stube, wo das Protokoll aufgesetzt und unterschrieben wurde. Damit hielt der Amtmann die Angelegenheit für vorläufig beendet. Er wollte aufbrechen.
    „Bitte, noch einen Augenblick!“ sagte Arndt.
    Und sich an den Totengräber wendend, fragte er:
    „Haben Sie bemerkt, daß ich an der Mauer gelauscht habe?“
    „Ja“, lautete die Antwort des ahnungslosen Mannes.
    „Und Sie wohl auch, obgleich Sie hier im Haus waren?“
    Diese Frage war an die Frau gerichtet.
    „Ja“, antwortete sie. „Ich stand da am Fenster und habe es deutlich gesehen.“
    „Nun, Herr Amtsrichter, so bitte ich Sie, diese beiden Leute zu arretieren!“
    „Arretieren?“ fragte der Beamte.
    „Arretieren!“ jammerte das Ehepaar. „Wir haben doch nichts dafür gekonnt, daß wir es sahen!“
    „Das ist sehr wahr“, antwortete Arndt in beruhigendem Ton, „aber ihr seid selbst schuld daran; ihr seid zu plauderhaft; das habe ich ja erfahren müssen!“
    „Wir werden nichts erzählen!“ gelobte der Mann, und seine Frau beeilte sich, diese Versicherung zu wiederholen.
    Arndt schüttelte den Kopf und erklärte dem Amtmann:
    „Es ist von der allerhöchsten Wichtigkeit, daß bis morgen kein Mensch erfährt, daß ich an der Mauer gelauscht habe. Die Herren werden als Beamte schweigen; dieser beiden Leute jedoch bin ich nicht sicher. Sie werden die Güte haben, sie mit sich zu nehmen, aber ohne sie als wirkliche Gefangene zu behandeln. Morgen früh werden sie wieder entlassen, und als Entschädigung für diese kurze Freiheitsentziehung werde ich ihnen hier diese zwei Goldstücke geben, die zugleich als Lohn für das Öffnen des Grabes angesehen werden mögen.“
    Als die beiden Leute die Goldstücke erblickten, verwandelte ihr Schreck sich in Freude, und sie erklärten, gern mitgehen zu wollen. Sie wurden dem Schreiber anvertraut, der sich mit ihnen entfernte, um zu Fuß nach der Stadt zurückzukehren.
    Als sich darauf der Amtmann mit Arndt und dem Förster allein sah, konnte er seine Wißbegierde nicht mehr beherrschen. Er sagte:
    „Aber jetzt sind wir unter uns. Wollen Sie mich noch länger auf die Folter spannen?“
    „Nein“, antwortete Arndt lächelnd. „Was Sie in scherzhafter Weise für Allwissenheit erklärten, war nichts als eine sehr leichte Berechnung. Die kleine Leiche wurde einst von dem Schmied und seinem Sohn entfernt, und da –“
    „Alle Wetter!“ rief der Förster.
    Der Amtmann sagte nichts, und Arndt fuhr fort:
    „Sie gingen zum Schmied, und der Totengräber ging auch zu ihm. Er ist ein schlauer Patron; es stand zu erwarten, daß er die Gefahr wittern und den Totengräber ausfragen werde. Im Falle dieser plaudern sollte, vermutete ich, daß der Schmied kommen werde, um uns zu beobachten. Und das war nur an der einen Stelle der Mauer möglich.“
    „Das ist keine gewöhnliche Kombination und klingt doch so einfach!“ meinte der Beamte.

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