72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
gewöhnlich nicht so leicht wie du aus den Augen zu verlieren.“
„Ich habe mich nicht mehr um sie bekümmert. Sie hatte sich meiner Liebe unwert gemacht.“
„Wieso?“
„Sie bestahl mich.“
„Was? Ein Mädchen bestiehlt ihren Geliebten? Das ist unbegreiflich!“
„Ich habe es begreifen müssen. Sogar bei den Besuchen, welche sie meinen Eltern machte, hat sie dieselben bestohlen.“
„Die hätte ich angezeigt.“
„Ich wollte es nicht tun; aber als ich sie einstmals mit einem andern zusammen traf, und zwar in der innigsten Umarmung, die man sich denken kann, da riß mir die Geduld. Ich zeigte sie an und brachte die Beweise. Sie kam in das Gefängnis, und dann habe ich mich natürlich nicht weiter um sie gekümmert. Später einmal habe ich erfahren, daß die Muren-Leni das Stehlen doch nicht hat lassen können. Sie ist wiederholt bestraft worden und wird jetzt wahrscheinlich im Zuchthaus stecken.“
„Da wäre ihr ganz recht geschehen. War sie denn hübsch?“
„Das kannst du dir denken. Oder meinst du, daß ich mich in eine Häßliche verlieben könnte? Dazu bin ich viel zu sehr Künstler. Auch liebenswürdig war sie. Du bist ja ebenso wie sie, und darum kann ich dir sagen, daß ich mit ihr bereits wie Mann und Frau zusammengelebt habe. Darum – was ist das?“
Es wurde still drüben.
„Hast du nichts da nebenan gehört“, fragte dann Anton.
„Nein.“
„Es war mir, als ob man da einen Stuhl gerückt habe. Ich muß mich getäuscht haben, denn die Loge ist ja leer.“
Er hatte sich aber nicht getäuscht. Leni fühlte sich außerstande, das weitere mit anzuhören. Sie war aufgestanden und hatte dabei den Stuhl zur Seite geschoben.
Jetzt begann die Musik mit einer Polonaise. Da konnte Leni sich ungehört entfernen. Sie ging und übergab der Schließerin den Schlüssel mit der Bemerkung, daß sie die Loge weiter vergeben könne. Die Frau war ganz glücklich darüber, auf diese Weise drei Gulden erhalten zu haben.
In den Saal zurückgekehrt, suchte die Leni den Sepp auf. Sie fand ihn, mit dem einen Türken, nämlich dem Baron, und zwei weiblichen Masken an einem Tisch sitzend, und er bemerkte sie.
Sie gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie gehen wolle. Er machte Miene, sich zu erheben; sie aber winkte ihm energisch, sitzen zu bleiben, da sie ahnte, daß er sich den Baron doch nicht gern entgehen lassen werde, und dann begab sie sich nach der Garderobe zurück, um Maske und Domino abzuliefern.
Auf der Straße angekommen, atmete sie tief auf. Es war ihr ganz unbeschreiblich zumute. Sie fühlte ein inneres Weh, welches eigentlich doch kein Weh zu nennen war. Es gibt, mag es auch noch so unwahrscheinlich klingen, ein dem Weh ähnliches Gefühl, welches ganz entgegengesetzt seiner Benennung, keine Schmerzen bereitet, sondern ganz im Gegenteil sogar zu beseligen mag.
So fühlte auch Leni. Sie hatte das Bewußtsein, frei zu sein, aller Verpflichtungen gegen Anton enthoben, ohne sich Vorwürfe darüber machen zu müssen. Und diese Freiheit eröffnete ihr für ihre Zukunft eine Perspektive, in deren Augenpunkten ihrer ein unendliches Glück zu harren schien.
Als sie ihre Wohnung erreichte, glitt sie leise in das Haus und die Treppe empor. Frau Salzmann war bereits schlafen gegangen; es brannte nur in Lenis Stube ein Licht, welches man für sie hingestellt hatte, damit sie sich in ihrer neuen Wohnung orientieren könne.
Aber sie ging noch nicht schlafen. Sie hätte doch keine Ruhe finden können; das fühlte sie. Ihr Herz war zu bewegt, nicht etwa stürmisch, wie aufregende Szenen dieses mit sich bringen, sondern es flutete ein unbeschreibliches Etwas durch ihr Inneres, leise und leicht, erwärmend und befriedigend. Sie legte die Toilette ab und ein Negligé an. Dann löschte sie das Licht aus und setzte sich an das Fenster, um hinauszublicken auf die Straße, über deren Häuserreihen der Mond sein silbernes, ruhiges Licht ergoß.
So lind und magisch war auch das Licht in ihr selbst aufgegangen. Sie sann und sann und wußte doch nicht, woran sie dachte. So ungefähr muß es im Himmel sein, wo die Seelen der Abgeschiedenen von einer Seligkeit erfüllt sind, welche zu beschreiben es gar keine Worte gibt.
Die Zeit verging. Viertelstunde um Viertelstunde verrann, und Leni dachte noch immer nicht daran, das Lager zu suchen.
Da drang ein Mißton durch die Stille der Nacht. Stolpernde Schritte kamen die Straße herauf; zwei Stimmen waren zu vernehmen; aber sie klangen gar nicht so, als
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