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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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antwortete die Gefragte. „Ein Gedicht über unser Kind! Wann mag sie es wohl gemacht haben?“
    „Vielleicht während der Major mit dem Pächter verhandelte. Sie wird nicht haben zuhören wollen und ist derweil in den Garten oder sonstwohin gegangen. Das Sonnenscheinchen hat ihr gefallen, und wenn man einmal Dichterin ist, so macht man gleich über alles Reime, was man gut leiden mag. Wenn ich gescheiter wäre, so dichtete ich auch nur über unsern Sonnenschein und sonst über nichts weiter.“
    „Wie lautet denn das Gedicht?“
    „Es sind nur vier Zeilen. Sie ist wohl nicht ganz fertig geworden damit. Höre einmal zu!“
    Sie las es vor. Es gefiel beiden ungemein. Dann wurde besprochen, wie das Buch der Besitzerin zuzustellen sei. Paule dachte an ihre Freundin, die Frau Lehrerin.
    „Weißt du, Mutter“, sagte sie, „ich wollte sowieso heute nachmittag ein Stündchen zu ihr gehen. Da nehme ich das Buch mit. Der Herr Lehrer weiß, wie man das fein macht. Er packt es schön sauber ein, und dann geben wir es auf die Post.“
    „Das ist das Richtige“, nickte die Botenfrau. „Aber lies es noch einmal vor, damit ich es auswendig lerne. Ein Gedicht auf unser Sonnenscheinchen, das muß man fest im Kopf behalten, damit man es nicht gar wieder vergißt!“
    Paule las es zum zweiten Mal vor und wieder, wieder und immer wieder. Großmutters Kopf schien hart zu sein; das Gedicht kam gar nicht leicht hindurch. Da lachte das Sonnenscheinchen und sagte:
    „Ich habe aufgepaßt und weiß es schon ganz gut. Soll ich es sagen?“
    Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, sagte es die vier Zeilen gleich dreimal hintereinander so richtig her, daß die Botenfrau die Hände zusammenschlug und erstaunt ausrief: „Ja, was ist denn das? Da ist ja das Ei wirklich einmal klüger als die Henne! Wirst du es aber auch nicht wieder vergessen, Sonnenscheinchen? Das darfst du nicht, denn es ist für dich gemacht!“
    „Ich vergesse es nicht, Großmutter. Ich gehe jetzt hinter den Garten und setze mich unter den Holunderbusch. Da sage ich es ganz laut so lange her, bis es fest angewachsen ist.“
    Das Kind eilte fort. Die beiden Frauen gingen in das Haus, aus welchem bald darauf die Paule wieder trat. Sie hatte die Sonntagsjacke angezogen, um zur Frau Lehrerin zu gehen. Das Schulhaus lag von hier aus straßab; darum sah sie es nicht, daß soeben der Pachthofer von oben kam und in das Wirtshaus ging, in welchem sich ihr Mann befand. Er schaute finster drein, fast wie verstört. Die Unterredung mit dem Major hatte ihn in Grimm gebracht.
    Bald hierauf kam auch die Botenfrau wieder aus dem Haus. Sie hatte die Brille auf der Nase, die alte, angeerbte, mit großen, runden Gläsern und ihr Sonntags-Nachmittags-Gebetbuch in der Hand. Damit setzte sie sich abermals an den Tisch, um ihrer Andacht nachzugehen. Die Brille wollte zwar die Zeilen nicht so ganz genau bis heran an das Auge ziehen, aber die Buchstaben waren von doppelter Größe, und wenn man das Buch so ziemlich auswendig kann, so merkt man es beinahe gar nicht, daß man überhaupt niemals in eine Schule gegangen ist, in der man das Lesen lernen konnte. Aber wenn man Botenfrau ist und sich täglich allerlei anzumerken hat, so kommt das Lesen mit dem Schreiben ganz von selbst. Es braucht ja nicht ganz genau so nach der Schnur zu gehen, wie andere Leute sich einbilden.
    Großmutter las also in ihrem Buch, so gut sie konnte.
    Der Zeigefinger diente ihr als Wegweiser über die Zeilen, und wenn er einmal von einer hinweg auf eine falsche rutschte, so war das kein Unglück. Die Brille wurde geputzt, und dann ging es auf einer noch falscheren fröhlich weiter. So las und rutschte sie immer tiefer in ihre Gedanken hinein, daß sie aufgehört zu haben schien, etwas anderes zu hören und zu sehen. Sie bemerkte nicht, wie überlaut es jetzt drüben in der Gaststube herging. Durch die Fenster derselben schallte, obgleich sie geschlossen waren, wüster Lärm. Allerlei halb- oder unerwachsenes Volk sammelte sich vor dem Gasthof an, als ob es da ein ungewöhnliches Ereignis zu erwarten gäbe. Tische und Stühle wurden gerückt, so laut, und ein Bierglas flog heraus. Zu gleicher Zeit kam die Wirtin aus dem Haus und über die Straße herübergerannt.
    „Botenfrau!“ rief sie den Hang herauf. „Komm schnell; hol' deinen Schwiegersohn, sonst gibt es ein Unglück drüben in der Stube!“
    Die Angeredete ließ vor Schreck das Buch auf die Erde fallen, sprang auf, nahm die Brille ab, legte sie auf den Tisch und

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