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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der beglückenden und erhebenden Erkenntnis zu bringen, daß es höhere und unbestreitbarere Wirklichkeiten gibt als diejenigen, mit denen der Werk- und Wochentag uns beschäftigt. Die Skizzen, die ich zeichnete und veröffentlichte, sollen der Vorbereitung zu dieser Erkenntnis dienen. Darum sind sie symbolisch geschrieben und, um verstanden zu werden, nur bildlich zu nehmen. Man möchte sich eigentlich darüber wundern, daß dies dem gewöhnlichen Leser so schwer zu fallen scheint. Es ist doch wohl keine allzu harte Nuß, sich beim Lesen eines Gleichnisses irgend etwas zu denken. Wenn ich unter Ardistan das Land der ethisch niedrigstehenden und unter Dschinnistan das Land der hochstehenden, edel denkenden Menschen meine, so kann es doch keiner geradezu akademischen Bildung bedürfen, einzusehen, was ich meine, wenn ich eine Reise von Ardistan nach Dschinnistan beschreibe. Der Leser hat sich einfach aus seiner Alltagswelt in meine Sonntagswelt zu versetzen, und das ist doch wohl auch nicht schwerer, als sonntags seine Werkelstube zu verlassen, um bei Glockenklang in die Kirche zu gehen.
    Wie dieser Kirchgang vom irdischen Druck befreit, so will ich durch meine Erzählungen das Innere meiner Leser vom äußeren Druck befreien. Sie sollen Glocken klingen hören. Sie sollen empfinden und erleben, wie es einem Gefangenen zumute ist, vor dem die Schlösser klirren, weil der Tag gekommen ist, an dem man ihn entläßt. So leicht es ist, diese Gefangenschaft bildlich zu nehmen, so leicht ist es auch, meine Bücher zu verstehen und ihren Inhalt zu begreifen. Ich will, daß meine Leser das Leben nicht länger als ein nur materielles Dasein betrachten. Diese Anschauung ist für sie ein Gefängnis, über dessen Mauern sie nicht hinaus in das von der Sonne beschienene freie, weite Land zu schauen vermögen. Sie sind Gefangene, ich aber will sie befreien. Und indem ich sie zu befreien trachte, befreie ich mich selbst, denn auch ich bin nicht frei, sondern gefangen, seit langer, langer Zeit. Damals, als ich mich im Gefängnis befand, da war ich frei. Da lebte ich im Schutz der Mauern. Da meinte es ein jeder gut und ehrlich, der zu mir in die Zelle trat. Da durfte mich niemand berühren. Da war es keinem erlaubt, den Werdegang meines inneren Menschen zu stören. Kein Schurke hatte Macht über mich. Was ich besaß und was ich erwarb, das war mein sicheres, unantastbares Eigentum, bis ich – entlassen wurde, länger nicht! Denn mit dieser Entlassung verlor ich meine Freiheit und meine Menschenrechte. Was andere, die nur materiell zu reden wissen, als Freiheit bezeichnen, das ist für mich ein Gefängnis, ein Arbeitshaus, ein Zuchthaus gewesen, in dem ich nun schon sechsunddreißig Jahre lang geschmachtet habe, ohne, außer meiner jetzigen Frau, einen einzigen Menschen zu finden, mit dem ich hätte sprechen können wie damals mit dem unvergeßlichen katholischen Katecheten. Ich lebte und arbeitete nicht für mich, sondern nur für andere. Was ich erwarb, um das wurde ich betrogen. Was ich mir sparte, das stahl man mir. Ein jeder durfte mit mir machen, was ihm beliebte, denn überall fand er einen Anwalt, der seine Sache führte. Ein jeder durfte mich verdächtigen, mich beleidigen, auf mich einschlagen, denn überall gab es einen Paragraphen, der ihn schützte. Ich mußte um meines Eigentums willen sechs Jahre lang prozessieren, und als ich den Prozeß gewonnen hatte, bekam ich noch lange nichts und wurde wegen Meineides zweiundzwanzig Monate lang in Voruntersuchung genommen. Nun prozessiere ich schon fast zehn Jahre lang und habe noch immer kein Resultat. Das Gesetz will es nicht anders. Inzwischen aber bin ich wie ein Züchtling gewesen, den jeder stäupen, quälen und martern darf, wie es ihm beliebt, wenn es ihm nur gelingt, sich mit einem jener Paragraphen zu bewaffnen, welche die Ideale aller ‚schneidigen‘ Anwälte sind. Jawohl, ich bin Gefangener, Zuchthäusler, noch immer! Ein Dutzend Prozesse haben mich festgehalten, damit ich ja nicht entweichen könne, und jeder, der Geld von mir wollte, aber keines bekam, hat sich als Zuchtmeister gebärdet und auf mich eingeschlagen. Ich habe das Beste aller derer, für die ich schreibe, gewollt, ihr inneres und äußeres Heil, ihr gegenwärtiges und ihr zukünftiges Glück. Was gab man mir für diesen meinen guten Willen? Verachtung, Spott und Hohn! Als ich Zuchthäusler war, da war ich keiner. Und nun ich aber keiner bin, da bin ich einer. Warum?
    Und ihr lacht darüber, daß ich

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