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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stehen einem derartigen Anwalt einige gleichgesinnte, von ihm gewonnene Blätter oder Blättchen zur Seite, so ist es ihm ein leichtes, eine jede Existenz, und stehe sie noch so fest, in kurzer Zeit zu erschüttern oder wohl gar zu vernichten.
    „In den Zeitungen von ganz Deutschland kaputtmachen“, nennt man das. Und das Gesetz begünstigt dieses Treiben!
    Es liegt mir da noch ein anderes, hochinteressantes Beispiel nahe, welches nichts weniger als empfehlend für mich klingt. Ich bringe es aber trotzdem, weil ich, wenn ich der Allgemeinheit nützen will, nicht fragen darf, ob ich mir selbst etwa dadurch schade. Meine erste Frau hatte die Frau eines Dresdener Schriftstellers beleidigt, welcher von Münchmeyers aus wußte, daß ich vorbestraft bin. Er rächte sich dadurch, daß er mich bei einem deutschen Fürsten denunzierte und ihm mitteilte, daß seine Verwandten meine Bücher läsen und mich auch persönlich besuchten. Der Fürst antwortete durch Schweigen. Da kam eine zweite Denunziation, und nun war der Fürst gezwungen, sich nach Dresden zu wenden, um zu erfahren, was mit meinen Vorstrafen sei. Er erhielt die eingehendste Auskunft. Es wurde ein Beamter nach Radebeul geschickt, um sich an Ort und Stelle zu erkundigen. Er erfuhr, daß meine Ehe keine glückliche sei, weshalb ich in meinen freien Stunden nicht zu Hause bleibe, und daß ich in meinen Büchern über Länder schreibe, in denen ich gar nicht gewesen sei; alles, was ich da berichte, sei nicht wahr. Infolgedessen steht in den Dresdener Polizeiakten über mich verzeichnet, daß ich einen unsoliden Lebenswandel führe und ein literarischer Hochstapler sei. Das wurde dem Fürsten mitgeteilt, und einer der betreffenden Verwandten erzählte es mir bei nächster Gelegenheit sehr ausführlich wieder. Er wußte sehr wohl, was an der Sache war, bat mich aber um Diskretion, so daß ich gezwungen war, hierüber zu schweigen. Ich glaubte auch, schweigen zu können, weil ich annahm, daß derartige Polizeiakten zu den verschwiegensten Dingen der Verwaltung gehören. Jetzt aber werden sie zu meinem Erstaunen von Lebius veröffentlicht und von meinen Gegnern entsprechend ausgebeutet. Wie kommt ein aus der Kirche ausgetretener Sozialdemokrat a.D. zu diesen geheimen Dresdener Polizeiakten? Das Gesetz gestattet es! Ganz selbstverständlich fühle ich mich nun nicht mehr zur Diskretion verpflichtet und werde darauf dringen, daß diese Akten revidiert und berichtigt werden.
    Ein weiterer Fall führt mich nach Leipzig, wo ich, wie auf Seite 148 berichtet, vor nun fünfundvierzig Jahren auf ungesetzlichen Wegen ergriffen wurde. Das ist so lange her, daß die betreffenden Gerichtsakten längst vernichtet worden sind, denn die Menschlichkeit verlangt, daß solche Spuren nur von einer ganz bestimmten Dauer seien, und diese Dauer ist vorüber. Wer hat nun daran gedacht, daß auch bei der dortigen Polizei Notizen hierüber gemacht worden und vielleicht noch vorhanden sein können? Herr Lebius hat sie kürzlich veröffentlicht! Wie kommt ein Mann, wie er, nun auch zu den Leipziger Polizeiakten? Das Gesetz erlaubt es!
    Ebenso hat er meine Scheidungsakten veröffentlicht. Sie sind doch gewiß von diskretester Natur und gehen ihn gar nichts an. Aber das Gesetz erlaubt es ihm!
    Er ist über alles unterrichtet, was sich auf meine prozessualen Verhältnisse bezieht. Wer erlaubt ihm das, und wer ermöglicht es ihm? Das Gesetz und der Münchmeyersche Rechtsanwalt, der zugleich auch der seinige ist. Beide arbeiten einander aus der Hand in die Hand. Es ist sogar vorgekommen, daß Lebius meine geschiedene Frau in Berlin zum Unterschreiben eines Vollmachtsblanketts veranlaßte, dieses aber nach Dresden zum Münchmeyerschen Rechtsanwalt schickte, der es dann für sich ausfüllte, wie es für seine besonderen Zwecke paßte. Das sind nur einige wenige Beispiele aus meiner reichen, persönlichen Erfahrung dafür, daß das Gesetz Dinge nicht nur erlaubt, sondern sogar begünstigt, die es eigentlich auf das strengste verbieten sollte. Dem steht selbst der rechtlichste und humanste Richter machtlos gegenüber, und das war es, woran ich dachte, als ich weiter oben sagte, daß ich meine Aufgabe endlich, endlich erkannt habe. Ich bin vor nun vierzig und fünfzig Jahren unfreiwillig da hinuntergestiegen, wo die Verachteten wohnen, denen es so schwer gemacht wird, sich die ihnen geraubte Achtung zurückzuerwerben. Ich habe sie kennengelernt, und ich weiß, daß sie nicht weniger wert sind, als alle

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