~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
Blick sonst auf den Weg geheftet, auf die eigenen Füße, den oftmals schmalen Pfad.
Dann geht es hinab. Hinunter ist noch anstrengender als herauf. Die Füße sind so müde, dass jeder Meter anstrengt und ich mache oft lange Pausen. Irgendwo in meinem verdammten Körper muss doch noch etwas Kraft zu finden sein , ich fluche über mich selbst. Viele eilen an mir vorüber und ich fühle mich schwach. Es ist wie eine erste Lektion: Der Anfang kann kein leichter sein. Nicht für mich.
Wo ist eigentlich meine Socke? An meinem Rucksack baumelt nur noch eine. Heute Morgen hatte ich sie außen aufgehängt, zum Lüften und Trocknen. Es erschien mir sinnvoll. Jetzt fehlt eine. „Hat jemand eine Socke gesehen?“ frage ich in die kleine Runde der Rastenden. Kopfschütteln. Ich gehe weiter. Jemand tippt mir auf die Schulter „Auf dem Gipfel, beim Kreuz“ sagt irgendjemand, meint wohl meine Socke, ich nehme kaum noch etwas wahr, so erschöpft bin ich. Irgendwie schaffe ich es noch dankbar zu nicken. Bin ich wirklich auf dem Gipfel gewesen? Es erscheint mir einen Traum lang her zu sein, nicht nur ein paar Stunden.
Als ich den ersten Stempel in meinem Pilgerpass erhalte stütze ich mich auf einen Stuhl. Meine Beine zittern, ich kann alleine nicht mehr stehen. Ich gehe, als wäre ich betrunken. Es war wohl kaum die letzte Hürde, war es die größte? Ich weiß es nicht. Jetzt gerade weiß ich nur, dass ich schlafen muss, Kraft finden muss in der Dunkelheit.
21.08.08 21km nach Zubiri - Ich will nach Hause
Es ist erst der zweite Tag. Heute. Meine Muskeln machen sich schon bemerkbar. Es ist wunderschön weitergehen zu können und zu dürfen. Ich bin beschwingt obwohl ich erschöpft bin. Es ist Sommer und ich bin unterwegs in meinem eigenen Traum. Es kann kaum besser kommen. Mein Kopf will weiter, immer weiter, meine Füße wollen am liebsten sich selbst in irgendeiner Ecke abstellen und dort bleiben.
„Pflaster?“ Eine Dame um die 40 Jahre alt hält mir eine kleine Dose aus Plastik vor die Nase. Gerade einmal drei Minuten sitze ich auf dem Boden und wühle in meinem Rucksack, weil ich mir eine Blase gelaufen habe. „Danke!“ ich lächle sie an. Pilger teilen offensichtlich alles. „Ich kann meins einfach nicht finden“, ich deute etwas hilflos auf meinen chaotischen Rucksack, sie lacht und nickt verständnisvoll. „Meiner sieht auch nicht besser zu“ sagt sie, zwinkert mir zu und verschwindet, nachdem ich mir ein Pflaster genommen habe. Dass ich sie nie wieder sehen werde, weiß ich in dem Moment noch nicht. Das weiß man nie auf dem Jakobsweg. Die Kultur des Teilens, sie gefällt mir sehr, sie erinnert mich daran, dass ich versuche immer so zu sein, wo ich auch gehe. Aber auch daran, wie schwer es mir in der Realität oft fällt. Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, Ausreden gibt es immer egoistisch zu sein und zu denken. Hier ist alles anders. Ich werde es mir merken.
Kurz bevor ich in Zubiri ankomme begegne ich einem ersten Engel. Isa bringt mir eine eiskalte Cola zum Ortseingang, wo sie darauf gewartet hat, dass ich schleppenden Schrittes angewackelt komme. Kennengelernt habe ich sie vor ein paar Stunden, sie hat ähnlich mit dem Weg zu kämpfen wie ich, hat aber wohl das größere Kraftreservoir. Sie lächelt mich an, drückt mir die Dose in die Hand und bevor ich mich richtig bedanken kann ist sie auch schon wieder verschwunden. Ich blicke ihr nach und freue mich schon wieder über so viel Menschlichkeit. Nur selten zuvor habe ich das Gefühl gehabt, dass eine Cola so gut schmeckt. Flüssiges Glück, einfach auch, weil es heißt fast angekommen zu sein. Kleinigkeiten wie diese gewinnen nach 21 anstrengenden Kilometern eine ganz neue Bedeutung. Ich könnte ganze Geschichten schreiben, nur über diese Wahrnehmung, nur darüber, wie etwas kleines so bestimmend werden kann für einen Augenblick.
In Zubiri ist alles ausgebucht, jedes Bett ist belegt und ich sitze an der Kirche, ohne zu wissen wie oder wo ich die Nacht verbringen werde. Die Ungewissheit quält nicht nur mich, auch einige andere sitzen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße, denn dort unterhalten wir uns und versuchen nicht zu schwarzmalerisch zu denken. Trotz so vieler anderer Menschen fühle ich mich allein, schutzlos, verloren, obwohl ich genau weiß wo ich bin. Selbst die privaten Herbergen sind bis auf das letzte Bett ausgebucht. Ausgekundschaftet haben das andere, meine Füße gehen heute keinen Meter mehr. Auch wenn es bis zur
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