911
Der Psychoanalytiker meint es gut mit dem Mann auf der Couch. »Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen, weil Sie ein Auto lieben. Erst recht nicht, wenn es ein Auto mit weiblichen Rundungen, einem knackigen Hintern und einem Dekolleté ist, das sogar Autohasser milde stimmt.« Es gebe ein anthropologisches Grundbedürfnis nach solchen Formen und überhaupt: Die Formenwelt sei eine feminine Welt, auch wenn man es den wenigsten Autos ansehe. Wer sich als kleiner Junge in ein Auto verliebt, rechnet beim Erwachsenwerden nicht damit, dass ausgerechnet eine der frühesten Leidenschaften, an die man sich erinnern kann, Bestand haben soll. Möglich ist das beim Porsche 911, weil er mit einem erwachsen geworden ist und auf gleichsam übernatürliche Weise dem sonst üblichen Alterungsprozess entzogen scheint. Der Porsche 911 wurde 1963 auf der IAA in Frankfurt vorgestellt und seitdem ist er einfach geblieben. Das macht ihn einzigartig. Kein Sportwagen ist so alt, kein existierendes Auto.
»Sie sollten nicht alles auf die Kindheit schieben«, bemerkt Professor Rainer Kaus in seiner mit Büchern, Bildern und »In-Treatment«-DVD-Boxen vollgestopften Praxis ruhig und freundlich. »Wenn junge Männer im Porsche mit quietschenden Reifen vor der Uni halten, bleibt deren Geheimnis, was sie damit psychodynamisch erledigen.« Er, der erfahrene Psychoanalytiker, habe aber ein paar Vermutungen. Es gehe ganz einfach um den Rausch der Geschwindigkeit und den Rausch an sich. Der Sportwagen selbst wird zum Lustobjekt, mit dem wir nicht nur uns selbst, sondern auch die anderen erregen. Und als Krone des Ganzen lockt der Neid. Die Erregung von Neid sei nicht als zerstörerische Kraft zu verstehen, sondern als Provokation, um die Umwelt in Bewegung zu versetzen und zu dynamisieren. Jeder ist neidisch und jeder produziert Neid. Leider versäume es unsere Gesellschaft, damit produktiv umzugehen.
Porsche fahren sei etwas sehr Gutes, fährt der nette Herr fort, die Vorstellung, in einem engen Innenraum mit dem Fahrzeug verwoben zu sein, ist eine Symbioseerfahrung, nach der eigentlich alle Menschen streben. Die Symbiose sei wie ein Bad, in das man eintauchen könne. Wichtig sei nur, dass man darin nicht untergeht oder so mit dem Gegenstandverwoben bleibt, dass die Trennung unmöglich wird. In der Symbiose zu erstarren, könnte problematisch werden. In der Symbiose enthalten sei die Sehnsucht, sich fallen zu lassen. Der Motor lässt die Welt vorbeirauschen und ich kann mich dabei fallen lassen. Auf Nachfragen von der Couch, ob nicht das wenigstens gefährlich und bedenklich sei, antwortet der Psychoanalytiker leise: »Die Beobachtung der technischen Dinge muss gegeben bleiben.« Das heißt? »Okay, ich regrediere, ich gehe in eine Symbiose mit dem Fahrzeug, dem Rausch, der Geschwindigkeit, aber ich verliere nicht die Kontrolle, auch nicht über mein Lustgefühl. Rausch, Regression und Symbiose sind wichtige Lust erregende Dinge, aber sie brauchen eine Grenze, die von der Selbstschädigung abhält.« Er blickt mich streng an. »Es gibt Leute, die gehen lustvoll in den Rausch, in die Regression und in die Symbiose, und denen ist es egal, was mit ihnen passiert. Jede Regression benötigt ein Moment der Umkehr.« Der Porsche-Fahrer weiß sofort, wovon die Rede ist, hat ihn die nicht gelungene Umkehr bereits in Todesnähe und schöne Sportwagen auf den Schrottplatz befördert. Aber es muss ja nicht jede Information gleich in der ersten Sitzung plaziert werden. Der Psychoanalytiker mustert den Patienten. »Da muss man Glück haben. Zum Beispiel einen Partner, der einen an die Verantwortung erinnert und der auch mal sagen darf: ›Es reicht. Es ist gut.‹ Daraus wird ein verinnerlichtes Gefühl der Verantwortung.«
Und was ist mit dem Todestrieb? Den wiederum hält der Psychoanalytiker für ein wenig überschätzt. Der helfe auch nicht so recht weiter. Rausch sei mit Glück verbunden, auch deshalb, weil fast jeder wisse, wie Dinge an einem gewissen Punkt zu stoppen seien. Jeder habe die Freiheit, seine Gefühle von Rausch, Regression und Symbiose auszuleben,und sie stoppen zu können, rundet das Glück ab. Zum notorischen Raser findet er einen klugen Gedanken beim französischen Ethnologen und Anthropologen Georges Devereux. Der erklärte in seinem Hauptwerk, je angstfreier man etwas beobachten könne, umso mehr werde man erkennen. So gesehen erlaubt es der Porsche, besser wahrzunehmen, vorausgesetzt der Fahrer ist kein Hasenfuß. Je angstfreier er
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