Aasgeier
friedlich-hilfsbereit, nackte Füße in den Standardlatschen plattfüßig nach außen gedreht. So watschelte er mir entgegen, die Arme zum Gruß ausgestreckt, deutlich hocherfreut über unser Wiedersehen. Genau wie ich. Schade, dass ich ihm vom mutmaßlichen Tod seiner alten Freundin Misty erzählen musste, furchtbar, den inneren Frieden, den er so offensichtlich erreicht hatte, mit solchen Schreckensnachrichten zu sprengen.
"Weiß ich doch schon alles", winkte Ignacio ab. "Old news, mein Lieber."
"Nimmst es ja sehr gleichmütig auf, muss ich sagen." Seine Reaktion wunderte mich doch. Ich meine, die katholische Ansicht über Leben und Tod in allen Ehren, aber hier handelte es sich um eine Frau, die er einst heiraten wollte. Und um meinen Kumpel Rick, der zwar seine Macken gehabt hat, aber trotzdem.
Ignacio strahlte richtig. "Die Nachricht ihres bedauerlichen Ablebens hat mir Misty selbst überbracht."
"Was?" Durfte nicht wahr sein. Also war meine erste Vermutung doch richtig. Ich war völlig erschlagen.
"Am Mittwochabend noch", erzählte Ignacio, während er mich, Arm um meine Schultern, ins Gonzalesche Wohnhaus führte. "Sie rief an und war außer sich. Scheinbar sind Rick und sie schon früh aufgestanden, haben einen Picknickkorb gepackt und sind mit dem alten Toyota nach El Paraiso gefahren, um einfach mal einen Tag für sich zu sein. Und als sie auf dem Rückweg über den Hügel kamen, sahen sie das Feuer und bogen sofort auf die Carretera Transpeninsular in Richtung Norden ab."
Sowas von heilfroh wie ich war gibt´s kaum. Ein Riesenbrocken fiel mir vom Herzen, als Ignacio erzählte. Gott sei Dank.
"Sie wollen nicht, dass bekannt wird, dass sie noch leben. Und Misty will nicht noch mal anrufen. Wir haben einen Code ausgemacht, falls wir Wichtiges füreinander haben - beispielsweise, dass du noch lebst, was sie zwar annahmen, aber nicht wussten. Ich habe ihnen inzwischen die gute Nachricht zukommen lassen - wie gesagt, übers Netz. Überlege dir, was du von ihnen wissen musst und wie die nächsten paar Wochen aussehen sollen."
"Kommen sie her? Haben sie gesagt, was sie vorhaben?"
Ignacio schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung. Misty hatte Angst, dass sie abgehört wird, also hat sie nur das Nötigste gesagt und das bisschen Information, das wir ausgetauscht haben, war verschlüsselt."
Hatte recht. Sie wussten also auch, dass das Feuer kein Zufall war, kein Unfall, mit Unachtsamkeit oder Schlampigkeit nichts zu tun hatte, mit Propangas schon gar nichts.
Ich musste wissen, ob sie noch Geld hatten, oder ob ihre Konten auch leer waren. Das sagte ich Ignacio. Der nickte und versprach, sich darum zu kümmern.
Frau Gonzales freute sich sehr. Herr Gonzales war noch draußen auf dem Feld, aber er würde jeden Augenblick heimkommen. Und würde sich ebenfalls über meinen Besuch freuen. Und wie gehe es dem Freund denn, dem Herrn Rick? Alles in Ordnung? Sie tat unbeteiligt-freundlich, die Señora Gonzales, die den armen Rick bei seinem letzten Besuch hier fast das Rückenmark gekostet hatte. Sowas von scharf hatte ich selten gesehen, und ich war beileibe kein Ahnungsloser in der Beziehung. Sie schien erleichtert, als ich ihr sagte, Rick gehe es blendend. Ich konnte mir die Behauptung nicht verkneifen, er würde oft von ihr sprechen, wie schön doch sein Aufenthalt hier gewesen sei, und dass er gerne wieder mal vorbeischauen würde. Sie wurde feuerrot, schaute ängstlich zu Ignacio hin, der so tat, als habe er nichts gehört und nichts von dem verstanden, was er vielleicht doch gehört habe.
Hatte wohl gebeichtet, die Señora. Ich hätte zu gern gewusst, was sie erzählt hat, doch klar war, dass Ignacio schweigen würde. Das ist eben das Pech, wenn der Freund Priester ist und den Beruf ernst nimmt. Da leidet zwangsläufig die Informationsbeschaffung.
Wir tranken unseren Kaffee, aßen die süßen Hartkekse, die Mexikaner unter der Gattungsbezeichnung Marias schätzen, und plauderten Belangloses. Als die Küchentür aufging und Herr Gonzales eintrat, schlug die Uhr draußen im Gang gerade drei.
"Señores!" Herr Gonzales war, wie sein Beichtvater auch, in die Breite gegangen. Noch mehr in die Breite. Fassähnlich trat er auf uns zu, strahlend und rundum weich. Wir standen auf und umarmten ihn, erst Ignacio, dann ich.
Herr Gonzales schaute mir ins Gesicht. "Ich höre, mit Ihrem Hotel ist etwas Furchtbares passiert. Und mit Ihren Freunden auch."
Ich wusste nicht so recht, wie ich darauf antworten sollte.
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