Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
liebsten gleich morgen reisen möchte.«
»Das können wir ja! Uns ist jede Zeit recht, die dir paßt!«
»Wirklich? Auch morgen schon?«
»Ja.«
»Und darf ich Thar mitnehmen, meinen Sohn, für den es die größte aller Wonnen sein wird, mit euch und mir in einem schönen Wagen zu sitzen und in die unbekannte Welt hinauszufahren? Er ist nach dieser Richtung hin nicht weiter als nur bis Betlehem gekommen.«
»Wenn es dir recht ist, so haben auch wir nichts dagegen, daß er uns begleite.«
»Gut, so sei es beschlossen, wir fahren; den Wagen besorge ich! Und da euch euer Weg jetzt an meinem Hause vorüberführt, so ersuche ich euch, für einige Augenblicke bei mir einzukehren. Ihr sollt die Freude sehen, die ihr dem Knaben durch diese eure Erlaubnis bereitet.«
Es wurde vollständig dunkel, ehe wir an dieses Ziel gelangten. Mustafa Bustani klopfte an das von innen verriegelte Tor. Schlürfende Schritte nahten; die schwarze Köchin kam uns zu öffnen. Sie hatte eine orientalische Windlaterne in der Hand, bei deren Schein wir sahen, daß sie ihre ganze Gestalt in ein ursprünglich weißes Laken gehüllt hatte, welches jetzt aber so voll blauer, grüner, roter und gelber Wischflecke war, daß man den ursprünglichen Untergrund fast gar nicht mehr erkennen konnte.
»Maschallah! Wie siehst du aus?« rief der Hausherr, als er das sah.
»Das ist die Kunst!« antwortete sie stolz, indem ein höchst befriedigtes Grinsen ihr Gesicht fast um das Doppelte verbreitete.
»Die Kunst? Wie so?«
»Wir malen!«
»Was?«
»Das rote Meer. Wir haben gleich nach dem Mittagessen angefangen und sind noch nicht ganz fertig.«
»Du – – – du malst mit?« fragte er, indem gewisse, nicht ganz frohe Ahnungen in ihm aufstiegen.
»Ja, ich!« versicherte sie im Tone sehr hoch gestiegener Selbstzufriedenheit. »Der ›Auserwählte‹ malt nur das Wasser, die Luft und die Sonne; ich aber male das grüne Land; das bringt er nicht fertig.«
»Das grüne Land? Worauf malt er denn? Hoffentlich doch nur auf Papier?«
»Auf Papier? O nein! Das wäre doch viel zu klein. Wir malen auf die Wand.«
»Auf die Wand? Wo denn?«
»Im Gartenhaus!«
»Allah, Allah! Im Gartenhaus! An die Wand! Das ist ja fürchterlich! Was werde ich da sehen! Ich muß gleich hin, sofort, sofort!«
Er eilte vom Tore weg, unter dem er bisher gestanden hatte. Daher sah uns die Köchin erst jetzt. Sie leuchtete uns an und erkannte mich.
»Der Effendi!« rief sie aus. »Schon heut’! Der ›Auserwählte‹ sagte doch, daß du erst morgen kommen werdest! Eile und folge mir! Du darfst es sehen; das hat der ›Auserwählte‹ gesagt. Aber dem Herrn ist es noch verboten. Wir müssen ihm schnell nach. Er darf nicht hinein!«
Sie trabte mit ihrer Laterne von dannen. Wir folgten langsamer. Es war nicht weit, kaum zwanzig Schritte. Das Wohnhaus lag in der Mitte des Gartens, das Gartenhaus aber an der Gartenmauer. Mustafa Bustani war nicht mehr einzuholen. Er hätte sich auch nicht abhalten lassen, die Stätte, in der die »Kunst« jetzt weilte, zu betreten. Ich kannte sie. Ich war oft in dem Häuschen gewesen. Es bildete ein Quadrat, die Türseite nach dem Garten, die andern drei Seiten ohne Fenster, also mit keinem Blick in die Außenwelt, elfenbeingelblichweiß gestrichen und mit goldenen Kuransprüchen verziert. Es hatte in dieser seiner Abgeschlossenheit, Sauberkeit und künstlerischen Ruhe und Bescheidenheit stets einen wohltuenden, besänftigenden Eindruck auf mich gemacht. Und jetzt?
Jetzt war die Tür weit aufgerissen. Vor ihr stand Mustafa Bustani. Er war noch nicht eingetreten, weil sein Sohn sich dagegen sträubte. Von der Decke hing eine Ampel, deren Lampe mit heller Flamme brannte. Im Innern sah man den Künstler, dessen Gestalt und Hemd nicht mehr in zwei, wie am Vormittage, sondern in vier Farben getaucht erschien, nämlich in azurnes Blau, in giftiges Grün, in leuchtendes Gelb und in glühendes Rot. So intensive, schreiende Farben regen auf, zumal wenn man künstlerisch zart besaitet ist. Was Wunder, daß da der Bub nicht grad bei ganz guter Laune war! Noch ehe wir das Gartenhaus erreicht hatten, hörten wir seine zornige Stimme, mit der er dem Vater zurief:
»Nein! Du hast es mir versprochen! Du darfst nicht herein! Auch bin ich noch nicht fertig! Der Effendi ist der erste, der es sehen darf, nicht du!«
»Aber der ist ja da, der Effendi!« antwortete Mustafa Bustani.
»Wo?«
»Hier!« meldete ich mich, indem ich den Vater zur Seite schob und mich
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