Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
gegangen seid, den ich täglich einzuschlagen pflege? Und genau zu derselben Zeit?«
»Zufall!« warf ich leicht hin.
»Das sagst du, ohne es selbst zu glauben! Ich weiß nur zu gut, daß du das Wort Zufall für eine Verlegenheitserfindung hältst. Doch das ist für jetzt nebensächlich. Hauptsache für heut’ abend ist mein Sohn. Ich habe nachzudenken. Ich habe allein zu sein. Und – – – euch beiden kann ich das sagen, ohne mich schämen zu müssen – – – ich habe zu beten! Mir ist der Gedanke gekommen, daß ich mich mit der Seele meines Kindes auf falschem Wege befinde. Nur Allah allein kennt die verborgenen Tiefen unseres Innern. Er wird mir zeigen, was recht ist und was falsch. Ich bitte, sorgt euch nicht um den Knaben! Er bekommt keine Strafe, die er nicht verdient. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!« sagten auch wir, reichten ihm die Hände und gingen sehr gespannt darauf, wie sich die Angelegenheit für morgen entwickeln werde.
II.
Nach Hebron!
Welche Erinnerungen knüpfen sich an den Namen dieser alten, berühmten Königs-und Levitenstadt! Man sagt, sie sei die älteste der Städte des Gelobten Landes. Nach 4. Mose 13, 23 bestand sie schon dreitausend Jahre vor Christi Geburt. Nach der Tradition des Mittelalters lag in ihrer Nähe die Stelle, an welcher Gott den Adam schuf. Sie hieß früher Kiriath Arba, wo mythenhafte Riesen wohnten, und war später die Hauptstadt der Hithiter, deren Fürsten da residierten. Nach der Eroberung von Kanaan durch die Kinder Israel fiel sie der Familie Kaleb zu. Später verlebte König David hier die ersten sieben Jahre seiner Regierungszeit. An ihren Toren wurde Abner von Joab ermordet. Und die Männer, die Isboseth, den Sohn Sauls, getötet hatten, wurden auf Davids Befehl hier aufgehängt. Von Hebron ging die Auflehnung Absaloms gegen seinen Vater aus. Die Stadt fiel während der babylonischen Gefangenschaft den Edomitern in die Hände, die aber von Judas Makkabäus wieder vertrieben wurden. Die Römer zerstörten sie und verkauften ihre Bewohner in die Sklaverei. Die Kreuzfahrer machten Hebron zur Bischofsstadt, die auch den Mohammedanern immer heilig gewesen ist, weil sie der Wohnsitz der Patriarchen war. Schon Abraham wohnte da, und Jakobs Zug nach Ägypten begann von Hebron aus. Die Moslemin nennen Abraham Chalîl er Ramân, Freund des Barmherzigen, wovon Hebron seinen jetzigen arabischen Namen, El Chalîl, bekommen hat.
Hebron ist also in hohem Grade ehrwürdig, leider aber nicht freundlich gegen Fremde, zumal gegen Christen. Die Bevölkerung ist die bigotteste des ganzen Landes, ungefähr neuntausend Mohammedaner und fünfhundert Juden, die zwar vom Christen so viel wie möglich Geld verdienen wollen, ihn aber sonst als einen minderwertigen, wohl gar unreinen Feind betrachten, durch dessen Berührung man sich beschmutzt. Ein durch die Gassen Hebrons gehender Christ tut wohl daran, wenn er sich bemüht, die Augen der »wahren Gläubigen« so wenig wie möglich auf sich zu ziehen, sonst kann es leicht kommen, daß wenigstens die Jugend hinter ihm herläuft, um ihn nicht nur mit Schimpfworten, sondern auch mit noch kompakteren Dingen zu bewerfen. Dieses feindselige Verhältnis spricht sich wohl am deutlichsten durch den Umstand aus, daß es in Hebron kein Gasthaus zur Aufnahme von Christen gibt, obgleich die Stadt durch eine recht gut fahrbare Straße mit Jerusalem verbunden ist. Es müßte jetzt anders sein; ich bin im Jahre 1900 zum letztenmal dort gewesen.
Wenn die Stadt mit dem freundlichen Namen und der unfreundlichen Bevölkerung trotzdem von Europäern besucht wird, wenn auch nicht allzu oft, so hat sie das nur der christlichen Verehrung der Erzväter, besonders Abrahams zu verdanken. Als Sara starb, kaufte Abraham die Doppelhöhle Machpela von Ephron, dem Hethiter, und verwandelte sie in eine Begräbnisstelle. Man sagt, daß dort alle sechs begraben liegen, nämlich Abraham, Isaak und Jakob, Sara, Rebekka und Lea. Die von der heiligen Helena – andere sagen vom Kaiser Justinian – über dieser Stelle gegründete Kirche wurde von den Moslemin in eine Moschee verwandelt, die von Christen leider nicht besucht werden darf. Sie dürfen sich höchstens dem äußern Umfang des Heiligtums nähern. Um weitergehen zu dürfen, muß man eine hohe, fürstliche Person sein und einen besonderen Ferman des Großherrn besitzen. In der Nähe, auf Dêr el Arba’in, findet sich das Grab von Isai, König Davids Vater. Eine halbe Stunde von der Stadt steht die Eiche
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