Ice
Kapitel 1 – Ice ist heiß
»Liebe Fluggäste, wir erreichen White City in wenigen Minuten«, dringt die weibliche Stimme des Bordcomputers an meine Ohren. »Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis das Shuttle andockt und sich die Türen automatisch öffnen. Wir bedanken uns, dass Sie mit New World City Transfer geflogen sind, und wünschen Ihnen einen schönen Tag.«
Gott sei Dank, wir sind da.
Tief durchatmen, Veronica, gleich hast du es geschafft.
Ich starre auf den Monitor am Vordersitz, auf dem ich mir während des Fluges einen langweiligen Dokumentarfilm über die Ethanolherstellung angesehen habe, doch der hat sich gerade abgeschaltet. Das Shuttle hat keine Fenster, ein Blick nach draußen ist wegen des Atomkrieges immer noch nicht gestattet, außerdem ist das Schiff so besser vor eindringender Strahlung geschützt. Ich würde gerne wissen, ob außerhalb der Kuppel nach fast einem Jahrhundert wirklich nur eine Wüste ist, oder ob sich die Natur ihren Platz zurückerobert hat.
In meinem Nacken kribbelt es. Ice sitzt direkt hinter mir. Ich fühle seine brennenden Blicke, die er mir schenkt, seit er mir vor wenigen Stunden als mein Bodyguard zugeteilt wurde. Der Kerl ist riesig und strotzt vor Kraft. Ich frage mich ständig, was geschehen würde, wenn sich die Warrior gegen uns stellen würden. Wir wären verloren.
Keine Stewardess hat uns auf diesem Flug begleitet, keine weiteren Passagiere sind an Bord. Außer diesem Warrior und mir befindet sich niemand in dem Schiff; es gibt auch keinen Captain, denn die Shuttles fliegen mit Autopilot.
Als Tochter eines Senators reise ich unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen; zu Hause kann ich ebenfalls keinen Schritt ohne einen Bodyguard machen – und das treibt mich langsam in den Wahnsinn. Ich fühle mich wie eine Gefangene.
Erneut ertönt die Lautsprecherdurchsage: »Landung in drei, zwei, eins …«
Noch bevor das Shuttle angedockt hat, öffne ich den Gurt und laufe den Mittelgang nach vorne.
Ice ist bereits dicht hinter mir.
Ich drehe mich zu ihm um, versucht, meinen Unmut nicht allzu offensichtlich zu zeigen, und frage möglichst fest: »Kann ich auch noch ein wenig Luft zum Atmen haben?« Dabei mache ich einen weiteren Schritt zurück und stoße mit dem Rücken gegen die Wand, hinter der sich das Cockpit verbirgt.
Mit verschränkten Armen baut er sich vor mir auf und starrt mich an. Seine Augen sind hell wie Eis. Schmutziges Eis. Eine Mischung aus grau und blau. Nicht, dass ich jemals echten Schnee gesehen hätte, denn in White City und den anderen Kuppelstädten herrscht das ganze Jahr über ein angenehmes Klima, doch so stelle ich ihn mir vor.
Sein Haar ist kurz und genauso schwarz wie meines. Heute habe ich es zu einem Knoten hochgesteckt. Ich trage eine Bluse und einen Rock, der mir knapp über die Knie reicht. Ice’ Blicke wandern ständig an meinem Körper auf und ab, ansonsten zeigt er kaum eine Regung. Nur ein Muskel in seiner Brust zuckt. Durch sein eng anliegendes Shirt zeichnet sich jede Kontur seines aufregenden Körpers ab. Eigentlich mache ich mir nichts aus diesen aufgeblasenen Muskelprotzen, doch irgendetwas hat der Mann an sich, dass ich ihn ebenfalls anstarren muss. Er ist so nah, dass ich sein Parfum, Aftershave, Duschgel – oder was auch immer – riechen kann. Und es duftet verdammt gut. Leicht rauchig und männlich. Mir wird schwindlig. Vielleicht kommt das aber auch vom Flug.
Ich räuspere mich. »Hat man dir verboten, mit mir zu sprechen?« Verdammt, wann geht denn endlich die Tür auf?
Ich vermisse meine alte Beschützerin Miraja. Sie war eine Frau in meinem Alter, und mit ihr habe ich mich nie eingeengt gefühlt. Sie war eher wie eine Freundin. Bei diesem Warrior kann ich mir nicht vorstellen, dass wir auch nur annähernd eine ähnliche Beziehung führen werden. Wie lange muss er bei mir bleiben? Und warum redet er nicht mit mir? Na ja, immerhin sieht er besser aus als Vaters Bodyguard, der während Mirajas Abwesenheit auch auf mich aufgepasst hat.
Vater war ganz begeistert, als sein Bruder Stephen ihm seinen besten Mann mitgegeben hat, damit der in Zukunft ein Auge auf mich hat. Den Kriegern in White City sei nicht mehr zu trauen, hat Stephen gemeint. Er hat mitbekommen, was sich in letzter Zeit hier abgespielt hat. Zuerst ist ein Warrior mit einer Sklavin geflohen, wenige Wochen später hat sich fast derselbe Vorfall ereilt, nur dass es diesmal zu einer Schießerei gekommen ist. Angeblich war es Miraja, mit der der
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