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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Scheik der Münazah, dem der Schuß gegolten hatte. Ich führte die beiden Todfeinde zu dem Sterbenden hin und ging dann nach der Tür, um Merhameh herbeizuwinken. Sie kam. Ihr Gesicht war bleich, aber ihr Auge groß, voll tiefen Glanzes und still.
    »Soll ich dabei sein?« fragte sie.
    »Du vor allen Dingen,« antwortete ich. »Komm her zu ihm, damit sein letzter Blick dich gleich zuerst erfasse!«
    Sie tat es. Sie kniete bei ihm nieder. Wir warteten. Draußen waren die Reiter alle abgestiegen. Die Münazah und die Manazah standen leise flüsternd bei einander. Ein einziger Schuß hatte diese flüsternde Ruhe hervorgebracht. Die einen erfuhren von den andern, wie grundlos dieser Schuß gewesen war. Schmutzig gelb, fast zu greifen, wälzte sich draußen die sandige Luft vorüber. Todesfahl drang das dicke Licht wie ein schadenfrohes Grinsen zur schmalen Tür herein. Schon gestern sollte er sterben, der da am Boden lag, und heute starb er wirklich. Nur ein einziger Tag wurde ihm geschenkt. Wozu? Indem ich dies dachte, öffnete er die Augen. Er sah Merhameh vor sich knieen. Sein Blick leuchtete auf. Er schaute an ihr nieder. Er bemerkte das rote Blut, welches unter ihm hervor dem Lager zu entrinnen suchte. Da fühlte er die Wunde. Die Erinnerung kam. Er erschrak nicht. Er hob die eine Hand und deutete auf Hassan Ben Masuhl, den Scheik der Manazah. Er erhob die andere Hand und deutete auf Omar Ben Amarah, den Scheik der Münazah.
    »Reicht Euch die Hände!« bat er. Sie taten es. »Ich liebe Euch,« fuhr er fort. »Seid Brüder im Leben, wie ich im Tode noch Euer Bruder bin!«
    Man sah, er wollte tief Atem holen, wagte aber nicht, es zu tun. Er faltete die Hände.
    »Merhameh,« sagte er. »Weißt du noch, was du sagtest? Gestern abend?«
    »Ich weiß es,« antwortete sie.
    »Ist es mir gelungen, mich selbst zu retten?«
    »Ja, Allah hat es gewollt.«
    »Habe ich bezahlt?«
    »Soeben tust du es. Du bist dein eigener Preis.«
    »So bin ich frei?«
    »Frei bist du, frei!« antwortete sie. Das klang wie ein Schluchzen, und doch war es auch wie ein Jubel.
    Da holte er tief, tief Atem und rief mit lauter Stimme:
    »Allah sei Preis gesagt!« Und mit wieder leiser und immer leiser werdender Stimme fügte er hinzu: »Und dir sei Dank, o Merhameh – – – o Mer – – ha – – – meh – –!«
    Seine Brust hob und senkte sich noch zwei-, dreimal – – – – da nahm Merhameh mich bei der Hand und bat:
    »Komm, Effendi! Stören wir nicht den Tod, wann er vom Himmel niedersteigt, die Lebenden zu versöhnen!«
    Wir gingen hinaus.
     
    Für diejenigen Leser, welche sich nicht mit dem innern, psychologischen Schluß einer Erzählung begnügen, sondern gern auch jedes äußere Fältchen ausgeplättet haben wollen, füge ich noch Folgendes hinzu:
    Es darf nicht verwundern, daß Ali Ben Masuhl zuerst als Blutsfeind erschossen werden sollte und dann kurz darauf von dem Scheik der Münazah als Freund behandelt wurde. Bei den dortigen Beduinen gehören Raub und Mord zu den ritterlichen Werken. Es ist also kein Widerspruch, daß man einen Mörder persönlich achtet und sogar liebt und doch gezwungen ist, ihn der Blutrache zu opfern.
    Ferner war uns nicht mit erzählt worden, daß man Ali Ben Masuhl nicht allein gefangen genommen hatte. Es waren zwei seiner Gefährten mit ergriffen worden, die man aber weniger streng bewacht hatte als ihn. Als sie das Todesurteil erfuhren, welches schon vorgestern gesprochen wurde, gelang es ihnen, zu entfliehen und heimzukommen. Sie waren überzeugt, daß die Exekution nun schon ausgeführt worden sei, und meldeten das dem Scheik. Dieser rief sofort soviel Krieger zusammen, wie eben vorhanden waren, um den Tod seines Bruders zu rächen, und zog mit ihnen voran. Andere Scharen sollten schnell folgen. Er kam wegen des schlimmen Wetters nur bis an das Heiligengrab, wo übernachtet werden sollte, war aber so vorsichtig, Späher vorauszusenden, die uns begegneten. Sie sahen uns zufällig eher als wir sie, versteckten sich und ließen uns an sich vorüberziehen. Wir waren alle tief eingehüllt, aber als sie die bekannte, isabellfarbene Stute sahen, waren sie überzeugt, daß der darauf sitzende Reiter der Scheik der Münazah sei. Als wir kurze Zeit darauf wieder einmal anhielten, um unsere Pferde ausruhen zu lassen, gelang es ihnen, die natürlich schnell umgekehrt waren, uns unbemerkt zu überholen und dem Scheik Hassan Ben Masuhl unsere Ankunft zu melden. Denn es verstand sich ganz von selbst, daß

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