Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
die Klinke und dann herein – herein! Weißt du etwas davon, Kleine? Hast du mich etwa verhext?«
    Anstatt des Herzle antwortete der Vater. Er holte tief, tief Atem, als ob er etwas sehr Schweres überstanden habe. Dabei hielt er seinen Kopf in beiden Händen. Dann ließ er sie herabsinken und sprach:
    »Du bist nicht verhext. Ich war im Traum bei dir. Was ist mit mir geschehen? O, dieser Traum, dieser Traum! Wäre er wahr, wie schrecklich, wie schrecklich!«
    »Jammere nicht!« fuhr sie ihn an. »Du scheinst ja wieder ganz munter zu sein! Warum hast du so getan, als ob der Schlag dir so gefährlich gewesen wäre?«
    »Der Schlag? Ja, ich bekam einen Schlag, einen Keulenschlag auf den Kopf. Dann kam der Traum. Ich hatte den Körper verloren. Ich war nichts und war doch etwas; aber ich wußte nicht, was! Ich sah mich nicht; ich hörte mich nicht, und ich fühlte mich nicht. Es war nichts, aber auch gar nichts um mich her. Alles leer; alles, alles leer! Ich auch! Ich konnte nicht stehen, nicht gehen, nicht liegen, nicht sehen, nicht sprechen. Ich konnte nichts, gar nichts! Das dauerte einen Tag, eine Woche, einen Monat, ein Jahr, hundert Jahre, Billionen Jahrhunderttausende! Da gingen zwei die Treppe hinab. Die eine war fort; die andere kam wieder. Sie setzte sich an den Tisch, machte einen Kasten auf und begann, nach ihren Sachen zu suchen. Da schickte ich meine Angst zu dir hinüber und ließ dich von ihr wecken. Du solltest kommen und die Diebin aus dem Hause schaffen. Ich kann das nicht, denn ich bin noch immer nichts, nichts, nichts. Du aber bist etwas, und das, das muß ich haben!«
    »Sie hat nach ihren Sachen gesucht?« fragte Fräulein Rosalia, ohne den Zustand ihres Vaters weiter zu beachten. »Nach welchen Sachen? Das möchte ich doch sehen!«
    Sie näherte sich dem Tische. Ihr Blick fiel auf das offene Paket. Da war es beinahe ein Sprung, den sie tat, um es an sich zu reißen.
    »Unsere Quittungen!« schrie sie auf. »Einbrecherin, wie kommen die in deine Pfoten?«
    »Sie sind unser,« antwortete das Herzle ruhig. »Ich habe noch gar nicht gewußt, daß sie uns abhanden gekommen sind und nun hier bei euch liegen!«
    »Nein, unser sind sie, unser! Wir, wir haben für den Lehrer bezahlt! Du lügst, und ich werfe dich hinaus!«
    »Und mein Klöppelbrief, der auch dabei liegt?«
    »Der ist mein, mein, mein!«
    »Du hast ja nie geklöppelt!«
    »Das geht dich gar nichts an! Ich will doch sehen, ob – – ah, da fällt mir etwas ein! Du sagst, die Zettel seien euer. Wollen es doch einmal versuchen. Hier hast du sie; da, da!«
    Sie schleuderte ihr die Quittungen in drei, vier, fünf Würfen in das Gesicht, von wo sie auf die Diele niederflatterten, und fuhr dann höhnisch fort:
    »Du hast gesagt, daß du nie etwas aufheben werdest, was ich weggeworfen habe. Wenn sie euch gehören, so hebe sie auf! Lässest du sie aber liegen, so sind sie unser.«
    Sie schaute triumphierend zu ihr hin, was sie wohl machen werde. Das Herzle schüttelte lächelnd den Kopf und sagte:
    »Das ist so ganz nach eurer Art! Der Arme hat’s erworben; der Reiche nimmt’s ihm weg! Entscheiden aber wird der liebe Gott! Du hast es ihm hier vor seinen Richterstuhl geworfen. Ich lasse es liegen; er aber hebt es auf. Jetzt gehe ich. Den Taler nehme ich mit!«
    »Welchen Taler?«
    »Den Uhrentaler meines Vaters, der auch hier bei euch lag. Die anderen neunundvierzig, die uns in seiner Todesnacht gestohlen worden sind, die werden sich wohl auch noch dazu finden!«
    Da geschah etwas ganz Unerwartetes. Der Kranke sprang mit einem einzigen Satz aus seinem Bett heraus, stürzte nach dem Tisch, raffte dort den Taler weg und schrie, indem er wie wahnsinnig auf das Herzle starrte:
    »Musteranton, das ist dein Werk! Aber hüte dich! Da unten ist noch heute der Herd, und da stehen auch noch solche Flaschen!«
    In der einen Hand den Taler, faßte er mit der der anderen das Herzle beim Kragen ihres Gewandes, schüttelte sie hin und her und knirschte dabei drohend:
    »Jetzt bin ich plötzlich nicht mehr nichts; ich bin etwas geworden! Wenn du wüßtest, was, so würdest du auf die Kniee niederfallen und mich um Gnade bitten!«

    »Ich kniee nur vor einem,« sprach das Herzle ruhig, »und der, der steht mir gegen dich bei, Musterwirt! Was du mit dem Herd und mit den Flaschen meinst, das weiß ich nicht; aber der, von dem ich soeben sprach, der wird mir’s sagen. Behalte nur den Taler! Denn wo dieser ist, da ist mein toter Vater; der hält ihn fest in deiner

Weitere Kostenlose Bücher