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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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in seinen Arm gekrallt, durch den Stoff hindurch hatte er es mit Ekel gespürt, ohne etwas dagegen tun zu können. Das Nichtige und Graue ihrer Existenz berührte ihn unangenehm, immer war sie grau gewesen, auch an diesem Tag, in schwarzer Trauerkleidung, hatte sie sich fahl und besitzergreifend an sein Leben gehängt.
    Schaufel für Schaufel Erde war auf den Sarg geploppt, und er hatte gedacht, wie analog dazu Wort für Wort wohlwollende Lügen aus dem Mund des Pfarrers gekommen waren. Auch für seinen Vater galt das ungeschriebene Gesetz der Beschönigung. Dabei war er ein chronischer Fremdgeher gewesen. Peinlich für den Sohn, wenn der Vater mit kühler Unverschämtheit die Frauen musterte, dick und schwitzend, wenn er dröhnend ein Lachen losließ, die Hand in der Hüfte, dass fast das Jackett platzte. Aber irgendetwas mussten sie an ihm gefunden haben. Vielleicht das volle graue Haar, das ihm mit einer Strähne charmant ins Gesicht fiel oder das Grübchen im Kinn. Manche Frauen mochten wohl einfach diese sichere Selbstgefälligkeit, in deren Windschatten sie anstrengungslos mitsegeln konnten. »Nun trink endlich deinen Köm aus!« oder »Du willst ein Mann sein und wirst mit der Zigarre nicht fertig?« Wie er diese erzwungenen Initiationsriten gehasst hatte. Zum Glück hatte er nach dem Abitur auf die Polizeischule fliehen können …
    Und was war von Bruno Danzik, gestorben mit 76, nun übrig geblieben? Der große Baumarkt in der Straßburger Straße. Sein Vater hatte ihn Ende der 50er gegründet, damals einer der ersten in der Stadt. DANZIK MACHT’S GUT stand über dem Tor. Und weil das stimmte, florierte das Unternehmen. Während sein Vater sich abends im »Club d’Amour« vergnügte, hatte seine Mutter noch über der Buchhaltung gesessen …
    Vorbei. »Sui mortuis nihil nisi bene« – »Über die Toten nichts außer Gutes.« Werner Danzik kippte mit Schwung einen Schluck Wein hinunter. In diesem Moment klingelte sein Handy.

2
    Anja Holthusen stellte mit zitternden Händen das feine weißblaue Geschirr auf den Tisch. »Musselmalet von Royal Copenhagen«, hatte ihre Schwiegermutter doziert. »Aber dafür hast du ja keinen Sinn. Wenn es nach dir ginge, würden wir aus Pappbechern trinken.« Anja trat einen Schritt zurück und ließ den Blick über den Tisch schweifen. Hoffentlich hatte sie nicht wieder was vergessen. Heute, am Sonntag, hatte sie wie immer die weiße Leinendecke mit der Hohlsaum-Stickerei aufgelegt und den Leuchter aus englischem Silber hervorgeholt. In den vier Kristallgläsern brach sich glitzernd das Licht, das die Frühlingssonne durch die Erker-Fenster der Patrizier-Villa sandte.
    Anja atmete tief durch. Sie spürte erneut, wie sich in ihrer Magengegend etwas zusammenzog, als hätte sich dort ihre gesamte Angst zu einem drückenden Klumpen konzentriert. Sie sah auf den Leinpfad-Kanal und bemerkte, wie sich von rechts ein Alsterdampfer in ihr Blickfeld schob. Leuchtend weiß, mit Menschen dicht an dicht, die wippten und klatschten, zu der jazzigen Live-Musik, die bis zu ihr herüberwehte. Ihre Augen wurden feucht, obwohl sie das Weinen fast verlernt hatte. Einsam unter diesen Menschen zu sein, wäre jetzt fast ein Genuss, »wildfremd« sagte man gedankenlos, während die Fremdheit in einer angeheirateten Familie doch so viel lastender sein konnte.
    Sie schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten. Sie würden pünktlich sein, »hanseatisch« nannten sie das. Ihr Schwiegervater Henri Holthusen, Inhaber der Teefirma »Holthusen Teehandel« in der Speicherstadt, kam dann aus der »Havanna Lounge« am Neuen Wall, wo er mit anderen Wirtschaftgrößen Zigarre rauchend den Vormittag verbrachte, ihr Mann Thomas kehrte befriedigt hechelnd von seinem Jogginglauf rund um die Alster zurück und Elisabeth, ihre Schwiegermutter, von ihrem Esoterik-Kreis.
    Anja fühlte, wie ein Frösteln über ihre Haut lief. Sie zog ihren massig gewordenen Körper die Treppe hoch und schlurfte ins eheliche Schlafzimmer. Aus dem Schrank zog sie unter Handtüchern einen Flachmann hervor. Ah, das tat gut, so würde sie den Tag schaffen. Sie setzte sich aufs Bett und nahm noch einen Schluck. Während die Hitze des Aquavits sie durchströmte, fiel ihr Blick in den gegenüber stehenden Kommoden-Spiegel. Ein rundes verquollenes Gesicht sah sie an, matte Augen verschwanden fast in der verschatteten, kraterigen Haut, die kurzen stumpfgrauen Haare waren verstrubbelt. Instinktiv drehte Anja den Kopf, aber nun begegnete ihr das Foto,

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