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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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manischen Egoismus überhaupt sprechen konnte. Sie schien auch etwas schauspielerhaft Überspanntes gehabt zu haben, die Befragungen hatten deutlich gemacht, dass sie von einer hysterischen Suche nach Anerkennung getrieben worden war. Sie mussten in jedem Fall in dem künstlerischen Milieu, in der Galerie-Szene, weiterforschen, und auch den esoterischen Spuren sollten sie nachgehen.
    Was hatte sie sonst noch für Beziehungen gehabt? Wer konnte weitere Facetten ihrer Persönlichkeit aufdecken, die zu Feindschaft und Mord hätten führen können? Vielleicht hatte sie noch alte Freundinnen? Auch solche scheinbar harmlosen Verbindungen mussten erhellt werden. War die Putzfrau wirklich erst erschienen, nachdem Elisabeth Holthusen schon tot im Badezimmer lag? War schlecht behandelt zu werden ein Motiv? Vielleicht konnte es einem mal zu viel werden, und man schlug zu, im Affekt. Aber wenn sich schlechte Behandlung akkumulierte und akkumulierte? Dann war man wieder bei der Situation der Schwiegertochter.
    Er griff nach dem Telefon, hielt aber inne. Sollte er seine Mutter anrufen? Nach dem Desaster neulich war sie halb-einsichtig in ihre Wohnung zurückgekehrt, aber er wusste nie, wie lange die Phasen der Vernunft anhielten oder ob sie wieder mit der Horror-Idee kam, in seine Wohnung einziehen zu wollen. Zu ihrem Tagesablauf gehörte nach ihrer Meinung der tägliche Anruf von ihm. Der aber nicht kam. Inzwischen war das Thema Wer-ruft-wen-wann-wie- oft-an schon in einen Machtkampf ausgeartet. »Du hast wieder nicht angerufen«, kam es streitbar und vorwurfsvoll durch die Leitung. »Jetzt muss ich als deine alte Mutter noch hinter dir hertelefonieren. So hätte ich mit meinen Eltern nicht umgehen dürfen. Damals …«
    Ja, ja, ja, damals, dachte Danzik erneut und ärgerte sich, dass er, wenn auch renitent, an einer unsichtbaren Nabelschnur hing. Ihre Eltern … er erinnerte sich nur vage, was mit denen gewesen war. Ein »Kolonialwarengeschäft« hatten sie gehabt, zu seinen Lebzeiten hatte es nur noch die ewig schwarzseherische Großmutter gegeben. Als sie starb, hatte sie im Krankenhaus in einem Gitterbett gelegen. Nein, ihn interessierten weder die Vor- noch die Nachgenerationen. Er würde auch im Alter an keinem Stammbaum basteln. Im Alter – nein, nicht dran denken. Weg damit. Es reichte, wenn es ihn, personifiziert in seiner Mutter, täglich aufs Neue ansprang wie ein hässliches Tier. Nein, er würde sie nicht anrufen. Sollte sie doch auch mal zum Hörer greifen, schließlich war sie nicht handbehindert. Wenn man sich wirklich nahe stand, rief man wechselweise an. Nein, kein Anruf, da konnte er stur sein. Er war im April geboren, ein Stier in Reinkultur. Obwohl dieser astrologische Kram natürlich Quatsch war. Elisabeth Holthusen allerdings hatte daran geglaubt und ihre Zukunft aus einem Kartenspiel erfahren wollen. Die Tarot-Karte. Die Tarot-Karte, dachte Danzik, und hakte damit den Fall für diesen Abend ab.
    Er schaltete den Fernseher ein, drückte auf die Fernbedienung und gleich wieder aus. Das Telefon klingelte. Er nahm ab. Die Nachricht, die er hörte, war alles andere als gut.
    * * *
    Regine Mewes wälzte sich von einer Seite auf die andere, ihr Kopf glühte, ihre Glieder glühten, und jeder einzelne Knochen tat ihr weh. Ein kneifender Schmerz durchdrang ihren Bauch und brachte sie dazu, sich wie ein kleines Kind zusammenzurollen und ihre Hände auf den Unterleib zu pressen. »Der Wecker hat geklingelt, warum stehst du nicht auf?«, sagte Norbert.
    Regine antwortete nicht. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre trockenen Lippen hatten sich zu rissigen Hautfetzen gebläht. »Was ist los?«, sagte Norbert.
    Regine öffnete kurz die Augen. »Krank«, stieß sie hervor. Dann machte sie die Augen wieder zu. »Stehst du denn nicht auf? Willst du dich nicht um Mutter kümmern? Ich muss gleich weg.«
    »Ich möchte, dass mir jemand eine Hühnersuppe kocht.«
    »Aber außer dir kann doch niemand kochen.«
    Regine schwieg. »Also, ich verlass mich drauf, dass du Mutter wie gewohnt versorgst.« Norbert blickte noch einmal auf seine Frau, dann ging er hinunter und griff nach seinem Frühstückspaket. Sie hörte, wie die Haustür zuschlug.
    Keine Kraft mehr, dachte Regine. Darmgrippe. Es war nicht zu fassen. Sie, die immer gesund blieb, wenn um sie herum alles schniefte, hustete und Bakterien verstreute. Das war der Preis jahrelangen Nichtaufmuckens. Wie unaufhörliche Schläge gingen die tyrannischen Forderungen der Alten auf

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