Abendfrieden
übertragen, weil sie ihren Sohn, der sozusagen ihr Ersatzpartner war, nicht mehr für sich allein hatte.«
»Hat Ihre Freundin mal versucht, die Familie zu verlassen?«
»Nein, nicht ernsthaft. Ich hab ihr immer wieder angeboten, vorübergehend bei mir zu wohnen, um sich dann ein ganz neues Leben aufzubauen, aber sie hat’s nicht gepackt. Selbst dann nicht, als diese furchtbare Sache passierte …«
»Furchtbare Sache?«, fragten die Kommissare gleichzeitig.
Isabel Ackermann lehnte sich zurück und balancierte ihre Teetasse zu sich herüber. »Die alte Holthusen war ja eine Esoterik-Tante und sehr abergläubisch.«
»Hat sie sich auch Tarotkarten gelegt?«, unterbrach Tügel. »Nein, wieso?«
»Nun lass mal«, sagte Danzik. »Jedenfalls hat Anja mal zwischen Weihnachten und Neujahr Wäsche gewaschen, die Maschine steht bei denen in der Küche, und da kam die alte Holthusen rein, hat das gesehen und ist durchgedreht.«
»Warum?«, fragte Tügel. »Was weiß ich. Ein alter Aberglaube. Wenn man in dieser Zeit wäscht, wird jemand aus dem Haus gewaschen, der Tod kehrt ein.«
»Nie zwischen den Jahren. Hab ich gehört«, sagte Danzik. »Jedenfalls hat die Alte dann schreiend auf ›Stopp‹ gedrückt und auf die Maschine gehauen. Dann einen Spaghettiheber vom Haken gerissen und auf Anja eingeschlagen. Der Unterarm sah schlimm aus.«
»Hat sich Frau Holthusen nicht gewehrt?«
»Nein, so was kann sie nicht. Die Alte ist dann gleich aus dem Haus, und Anja hat mich angerufen. Ich bin sofort rüber, hab den blutigen Arm gesehen und das Blut auf dem Boden und hab aus dem Auto meine Polaroid-Kamera geholt, um das zu dokumentieren.«
»Hat Frau Holthusen ihre Schwiegermutter angezeigt?«
»Nein, wo denken Sie hin. Sie hat den Arm sogar vor ihrem Mann versteckt.« Isabel Ackermann stand auf und ging zu einer Kommode. »Hier, ich hab das Foto noch.«
Danzik reichte das Polaroid an seinen Kollegen weiter und schüttelte den Kopf. »Ganz schön heftig!« Tügel starrte auf den rot gefärbten Unterarm. »Können Sie sich vorstellen, Frau Ackermann«, sagte der Hauptkommissar betont deutlich, »dass Frau Holthusen ihre Schwiegermutter getötet hat?«
»Getötet? Ermordet? Sind Sie verrückt? Meine Freundin ist das Opfer! «
»Eben«, sagte Danzik. »Und danke für den Tee.« Er erhob sich, Tügel folgte ihm.
10
Werner Danzik saß in seiner Wohnung in der Hallerstraße und nahm, intensiv kostend, einen Schluck Wein. Was war das bloß für Zeug? Er nahm noch einen zweiten und einen dritten Schluck. Nein, diesen chilenischen Wein hätte er nicht kaufen sollen. Reine Chemie. Beim Probieren in der Weinhandlung hatte er geschmeckt, aber jetzt … Als Weinkenner konnte er sich wirklich nicht bezeichnen.
Laura hatte angerufen. Nein, heute Abend ginge es nicht, sie müsse noch einen Artikel in den Kasten kriegen, Abgabe morgen früh. Schade, um nicht zu sagen traurig. Danzik füllte sich nach. Zusammen mit den Käsehappen war das Gesöff zu ertragen. Er könnte den Fernseher einschalten, aber das schlechte Programm lief ihm nicht weg. Später. Seine Gedanken kehrten zwanghaft zu dem Fall zurück. Er musste die bis jetzt gefundenen Fakten noch mal ordnen, den Tag bilanzieren, erst dann würde er die abendliche Entspannung genießen können.
Anja Holthusen war zur Tatzeit nicht in der Villa gewesen, davon konnte man ausgehen. Ihre Aussage und die der Freundin stimmten komplett überein, Fangfragen an Isabel Ackermann hatten keinerlei Widersprüche ergeben. Dennoch musste die Sache mit der Familie oder dem erweiterten persönlichen Umfeld zu tun haben. Ein ›Außenmörder‹, wie zum Beispiel ein Einbrecher, mixt keinen Medikamentencocktail zusammen. Es sei denn, er will den Verdacht auf eine bestimmte Person umlenken. Im Übrigen konnten sich auch ferner stehende Personen mit den Verhältnissen vertraut gemacht haben. Die Erfahrung zeigte, dass ein Motiv wie Rache sich immer wieder auf die vielfältigsten Begebenheiten zurückführen ließ, auf Geschehnisse, die manchmal tief verborgen in der Vergangenheit lagen.
Um Geld schien es aber nicht zu gehen. Niemand im engeren Kreis war so schlecht gestellt oder so verzweifelt ruiniert, dass er vorzeitig ein Erbe hätte anzapfen müssen. Elisabeth Holthusen war zweifellos ein unangenehmer Mensch gewesen. Herrisch gegenüber ihrem Mann, fast sadistisch gegenüber ihrer Schwiegertochter, und nur mit ihrem Sohn war sie liebevoll verbunden gewesen, so weit man davon bei ihrem
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