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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Jamie mich endlich allein, um hinunterzugehen und Abendessen zu machen. Obwohl es gerade einmal halb sechs war, wurde es draußen bereits dunkel; das spärliche Licht versank hinter den Bäumen. Ich stellte mir vor, wie das Telefon in dem leeren gelben Haus klingelte, während es gleichzeitig Richard, dem Chef meiner Mutter bei
Commercial Couriers
, dämmerte, dass wir nicht einfach bloß zu spät kamen, sondern unsere Schicht insgesamt sausen ließen. Später würde das Telefon vermutlich noch einmal klingeln und kurze Zeit darauf ein Wagen die Auffahrt hochkommen. Beim vorderen Fenster halten. Ein paar Minuten lang würden sie darauf warten, dass ich aus dem Haus trat; vielleicht käme einer von ihnen sogar zur Tür, um dagegenzuhämmern. Da sich nichts rührte, würden sie schließlich wieder abdrehen und davonbrettern, wobei der ordentlich gemähte Rasen der Honeycutts sowie der Lehmboden darunter durch ihre quietschenden Reifen aufgewühlt wurde.
    Und dann   – was? Die Nacht dort würde ohne mich vergehen, das Haus in der stillen Dunkelheit in sich selbst zur Ruhe kommen. Ob die Honeycutts wohl schon vorbeigekommen waren und aufgeräumt hatten? Oder hingen meine Klamotten noch quer durch die Küche, geisterhaft? Während ich so dasaß, an diesem merkwürdigen Ort, kam es mir vor, als zöge das Haus mich zu sich zurück   – es war wie ein innerliches Zerren an meinem Herzen, genauso wie ich mir gewünscht hatte, dass meine Mutter es spüren würde, damals, in jenen ersten Herbsttagen. Aber auch sie war nicht zurückgekommen. Und selbst wenn sie es jetzt unvermutet tat, würde ich nicht da sein.
    Bei dem Gedanken spürte ich, wie sich mir der Magen zusammenkrampfte, weil mich plötzlich ein Gefühl von Panik überkam; ich stand auf, ging zur Balkontür, drückte dagegen und trat hinaus in die kühle Abendluft. Mittlerweile war es fast vollständig dunkel, während gleichzeitig in den Nachbarhäusern allmählich die Lichter angingen. Denn nun kamen sie heim, um für den Rest der Nacht zu bleiben, die Menschen, die dort wohnten und diese Häuser ihr Zuhause nannten. Ich hingegen fühlte mich winzig, mit Coras gigantischem Haus im Rücken und dem riesigen Garten unter mir. Als würde ich jemandem, der zufällig hochblickte und mich entdeckte, vollkommen fremd und verloren erscheinen, jetzt schon.
    Ich ging wieder hinein und öffnete die Reisetasche aus grobem Wollstoff, die man mir ins
Poplar House
gebracht hatte. Jamie hatte sie vom Wagen hoch in mein neues Zimmer getragen. Ein Billigteil, das meine Mutter bei irgendeiner Werbeveranstaltung abgestaubt hatte, und bestimmt nicht die Art Tasche, in welche ich freiwillig meine weltlichen Besitztümer gepackt hätte. Wobei diese sich ohnehin nicht darin befanden. Denn meine guten Klamotten hatten alle auf der Wäscheleine gehangen; in der Tasche steckten stattdessen Sachen, die ich fast nie anzog, außerdem ein paar Schulbücher, eine Zahnbürste und zwei Packungen mit Baumwollunterwäsche, die ich noch nie im Leben zuvor gesehen hatte   – freundlicherweise vom Staat finanziert. Ich versuchte mir vorzustellen, wie irgendjemand, den ich nicht kannte, mein Zimmer durchstöbert und diese Sachen für mich zusammengesucht hatte. Was für eine Frechheit, automatisch davon auszugehen, man könnte auf einen Blick erkennen, was für jemand anderen unentbehrlich war. Als wäre das für alle Menschen gleich.
    Allerdings gab es nur einen einzigen Gegenstand, den ich wirklich brauchte, und ich hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass ich ihn besser immer bei mir trug. Ich hob die Hand. Ließ sie an der Silberkette um meinen Hals entlanggleiten, bis sie den vertrauten Umriss dort, unten in der Mitte der Kette, ertastete. Den ganzen Tag über hatte ich ihn an meine Brust gepresst, immer wieder aufs Neue die mir wohlbekannte Form mit meinen Fingern nachgezeichnet: der abgerundete obere Teil, die Ränder   – glatt auf der einen, eine Abfolge gezackter Knubbel auf der anderen Seite. Dieser Gegenstand war auch am Abend vorher, im Badezimmer von
Poplar House
, das Einzige gewesen, was mir vertraut war, was ich kannte, das, worauf ich meine gesammelte Aufmerksamkeit richtete, während ich in den Spiegel schaute. Die dunklen Höhlen unter meinen Augen, die fremde Umgebung und wie fremd ich mir selbst darin vorkam   – all das konnte ich nicht anschauen, ertrug es nicht. Deshalb hob ich ihn   – wie auch jetzt wieder   – sanft an und fühlte mich sofort etwas sicherer, fast

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