Absender unbekannt
bleicher. Sie nickte.
Angie warf mir einen Blick zu und hob wieder die Augenbrauen. Eric sagte: „Kennt ihr ihn?“
„Leider haben wir seine Bekanntschaft gemacht“, erwiderte ich. Kevin Hurlihy ist mit uns aufgewachsen. Er sieht ziemlich dämlich aus – ein hoch aufgeschossener Typ mit knochigem Körperbau und widerspenstigem, borstigem Haar, das aussieht, als halte er seinen Kopf jeden Morgen in die Kloschüssel und drücke auf die Spülung, um sich zu frisieren. Als er zwölf Jahre alt war, wurde ihm ein Krebsgeschwür am Kehlkopf entfernt. Durch das Narbengewebe von dieser Operation bekam er eine furchtbar hohe, ständig brechende Stimme, die wie das verärgerte Heulen eines Teenagers klingt. Er trägt eine Brille mit flaschenbodendicken Gläsern, durch die seine Augen wie die eines Frosches hervorquellen, und Klamotten wie der Akkordeonspieler einer Polkagruppe. Er ist die rechte Hand von Jack Rouse, und Jack Rouse ist der Chef der irischen Mafia in dieser Stadt. Auch wenn Kevin ein bisschen komisch aussieht und redet: Er ist alles andere als witzig.
„Was ist passiert?“ erkundigte sich Angie.
Diandra sah zur Decke hoch, die Haut an ihrem Hals zitterte. „Moira erzählte mir, Kevin würde ihr Angst einjagen. Sie sagte, er würde sie ständig verfolgen lassen, würde sie zwingen, ihm beim Sex mit anderen Frauen zuzusehen, ihm
beim Sex mit Männern zuzusehen, dass er Männer zusammenschlagen würde, die sie nur zufällig angeguckt hätte, und dass er…“ Sie schluckte, und Eric legte seine Hand zögernd auf die ihre. „Dann hat sie mir erzählt, dass sie eine Affäre mit einem Typen hatte, und Kevin hätte das herausgefunden und hätte… den Mann umgebracht und irgendwo in Somerville begraben. Sie flehte mich an, ihr zu helfen. Sie…“ ‘
„Hat man Sie bedroht?“ fragte ich Diandra.
Sie rieb sich das linke Auge und zündete sich dann mit dem AntikFeuerzeug eine lange weiße Zigarette an. Obwohl sie so große Angst hatte, zitterte ihre Hand nur ein klein wenig. „Kevin“, kam es aus ihrem Mund, als hätte sie gerade etwas Faules gegessen. „Er hat mich um vier Uhr morgens angerufen. Wissen Sie, wie man sich fühlt, wenn man um vier Uhr morgens angerufen wird?“
Verwirrt, bestürzt, allein und verängstigt. Genau das beabsichtigt ein Typ wie Kevin Hurlihy ja.
„Er hat eine Menge ekliger Sachen gesagt. Zum Beispiel, ich zitiere: >Wie fühlt man sich so, die letzte Woche auf der Erde, du alte Fotze?<„
Hört sich nach Kevin an. Oberste Liga.
Zischend sog sie die Luft ein.
„Wann haben Sie diesen Anruf erhalten?“ fragte ich.
„Vor drei Wochen.“
„Vor drei Wochen?“ wiederholte Angie erstaunt.
„Ja. Ich habe versucht, es zu vergessen. Ich habe die Polizei angerufen, aber die meinten, sie könnten nichts tun, weil ich keinen Beweis dafür hätte, dass es wirklich Kevin war.“ Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, machte sich auf der Couch noch ein bisschen kleiner und sah uns an.
„Als Sie mit der Polizei sprachen“, fragte ich, „haben Sie da etwas von dieser Leiche in Somerville erzählt?“
„Nein.“
„Gut!“ sagte Angie.
Diandra beugte sich vor und schob Erics Pistole von dem Umschlag. Dann reichte sie ihn Angie, die ihn öffnete und ein Schwarzweißfoto herauszog. Angie sah es an und gab es an mich weiter.
Der junge Mann auf dem Foto sah aus, als sei er ungefähr zwanzig: ein hübscher Junge mit langem rotbraunen Haar und einem Dreitagebart. Er trug eine Jeans mit Löchern über den Knien und ein TShirt unter einem offenen Flanellhemd, darüber eine schwarze Lederjacke. Typische Unikleidung. Unter dem Arm hielt er einen Schreibblock. Er ging gerade an einer Backsteinmauer vorbei und schien nicht zu bemerken, dass er fotografiert wurde.
„Mein Sohn Jason“, erklärte Diandra. „Er ist im zweiten Jahr in Bryce. Das Gebäude hinter ihm ist die Bibliothek von Bryce. Das Foto kam gestern ganz normal mit der Post.“
„Kein Begleitschreiben?“
Sie schüttelte den Kopf.
Eric ergänzte: „Ihr Name und Ihre Anschrift waren auf den Umschlag getippt, sonst nichts.“
„Vor zwei Tagen“, fuhr Diandra fort, „war Jason das Wochenende über hier, und ich konnte zufällig mithören, dass er einem Freund am Telefon erzählte, er würde das Gefühl nicht los, dass jemand hinter ihm herschleiche. Herschleiche. So hat er sich ausgedrückt.“ Sie wies mit der Zigarette auf das Foto, und nun zitterte ihre Hand stärker. „Einen Tag später kam das da an.“
Ich betrachtete das Bild
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