Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
Vom Netzwerk:
packte den General am Arm. »Ich weiß, was das ist«, sagte sie. »Ihr habt recht. Das sind die Gottessprecher. Ich habe sie gerufen.« Dann wandte sie sich an die Armee; ihre Stimme war höher und durchdringender als die Leekas. Sie verschaffte sich Gehör. Sie hätten nichts zu fürchten, schrie sie. Die Riesen, die da auf sie zukamen, wären Santoth-Zauberer. Sie kämen auf ihren Ruf hin, und sie seien Freunde ihres Bruders, ihrer aller Freunde. »Ihr habt nichts zu fürchten.«
    In dem Tonfall, in dem sie diese letzte Feststellung vorbrachte, lag eigentlich nicht genug Gewissheit, um ihren Worten zu entsprechen, doch es beruhigte die Soldaten schon, sie nur sprechen zu hören. Anstatt zu fliehen, rückten die Truppen zusammen. Sie schlossen die Reihen und flankierten die Königskinder und den General. Selbst diejenigen, die weiter entfernt waren und Mena wahrscheinlich nicht gehört hatten, drängte es zu ihr hin; vielleicht erinnerten sie sich an die Heldentaten, die sie am Vortag vollbrachte hatte, und richteten sich daran auf. Zusammen warteten sie.
    Leeka, der unmittelbar hinter den beiden Akaran stand, sah, wie Dariel den Kopf wandte und seiner Schwester ins Ohr flüsterte: »Ich hoffe, du hast recht, Mena.«
    »Ich auch«, sagte sie und schaute wieder zum Himmel auf. »Ich auch.«
    Als die Gestalten sich veränderten, geschah es in Sekundenschnelle. Eben noch die Riesen, die sie gewesen waren, seit Leeka sie zum ersten Mal erblickt hatte, wurden sie jäh kleiner. Und dann noch kleiner. Und noch kleiner. Es ging so schnell, dass Leekas Blick noch immer in den Himmel gerichtet war, als es dort oben nichts mehr zu sehen gab. Die brodelnden Wolken verzehrten sich in einer lautlosen Implosion. Dahinter kam der Morgenhimmel mit seiner gewöhnlichen blassblauen Farbe zum Vorschein.
    Leeka fragte sich, ob das alles gewesen sei. Ein flüchtiges Lichtschauspiel am Himmel, schwer zu entschlüsseln oder zu verstehen und letzten Endes enttäuschend. Doch das war nicht alles. Die Soldaten ringsumher sogen scharf die Luft ein, Menas Arm streifte versehentlich den seinen. Er senkte den Blick.
    Dort, auf der Erde, kam eine Gruppe von etwa hundert Männern auf sie zu. Sie waren normal groß, aus Fleisch und Blut und bewegten sich in gemächlichem Tempo. Wie die Riesen es getan hatten, schwankten sie beim Gehen leicht, ansonsten jedoch waren sie all das, was jene Gestalten nicht gewesen waren: klein, wirklich, greifbar vorhanden. Sie gingen gebeugt wie alte Männer und hatten dünne Gliedmaßen und hagere, ausgemergelte Gesichter. Eigentlich hätten sie nicht furchterregend sein sollen. Dennoch wich Leeka unwillkürlich zurück und drückte sich gegen die Barrikade aus Leibern direkt hinter ihm.
    Der erste der Fremden blieb wenige Schritten vor ihnen stehen. Die anderen sammelten sich hinter ihm. Leeka starrte ihnen in die Gesichter. Irgendetwas stimmte damit nicht. Sie waren nicht normal. Er konnte ihre Züge genau erkennen: die jeweilige Form der Nase, den Haaransatz, die Augen und die langsam blinzelnden Lider. Doch an den Rändern der Stirn oder unter dem Kinn konnte er Nähte erahnen, als hätten sie die Haut anderer genommen und sie auf ihre eigene genäht. Bisweilen lief ein Zittern darüber, und ihr Aussehen veränderte sich. Je länger er hinsah, desto stärker wurde sein Eindruck, Merkmale bekannter Personen an ihnen wahrzunehmen. Im finsteren Stirnrunzeln des einen sah er sogar sich selbst, in den Augenbrauen eines anderen, in der Kinnlinie jenes Mannes dort …
    Wer hat uns gerufen?
    Die Frage erschien in seinem Kopf. Er hörte sie, obwohl niemand sie ausgesprochen hatte. Die Gestalten hatten ihre Münder nicht bewegt, doch die Worte ertönten in seinem Innern, ein Chor von miteinander vermengten Stimmen. Mit einem raschen Blick in die Runde erkannte er, dass er die Frage nicht als Einziger vernommen hatte.
    Wer hat uns gerufen?
    »Ich«, antwortete Mena. Ihre Stimme klang so spröde wie ein trockener Zweig. Sie schien nachzudenken, versuchte es erneut. Ohne den Mund zu öffnen, sagte sie: Ich habe euch gerufen. Seid ihr die Santoth? Nualo? Ist einer von euch Nualo?
    Die Gestalten kamen näher. Es war, als glitten sie auf Rädern auf Mena zu. Einer der Männer trat vor. Er gab sich als Nualo zu erkennen, ohne es offen auszusprechen. Leeka wusste es einfach, und die anderen wussten es offenbar ebenfalls. Sie alle waren Teil hiervon.
    Warum hat uns nicht der Erstgeborene gerufen? , wollte Nualo wissen.
    Mena

Weitere Kostenlose Bücher