Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2
dafür könnt ihr ein wirklich gutes Gefühl genießen. Diese Autos sind absolut emissionsfrei.«
»Aber …«, sagt Chris.
»Kein Aber«, sagt Frank. »Das Rapsöl stammt aus ökologisch-dynamischem Anbau, und die Taxifahrer sind allesamt Vegetarier. Stimmt’s nicht, Kerstin?«
Ich muss tief Luft holen. »Doch«, sage ich dann. »Das ist wahr.«
Zwanzig Minuten später steigen Chris, Hanna und das Baby draußen vor dem Haus ins Rapsöl-Taxi und fahren davon. Ich nehme nicht an, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden. Zum ersten Mal im Leben habe ich als Gastgeber völlig versagt. Trotzdem fällt eine Riesenlast von mir ab.
Frank gießt uns zwei Gläser von dem ökologischen Rotwein ein.
»Was meinst du«, sagt er und grinst mich an. »Züchten sie sich ihre Haare als Biodämmmasse für Niedrigenergiehäuser?«
»Gut möglich«, sage ich und putze mir die Nase. »Sicher haben sie schon ein Patent darauf angemeldet.«
Frau-Schachtmann-Phobie
oder die Angst, im Urlaub Bekannten über den Weg zu laufen
Meine Schwägerin hat ihren alten Schulfreund nach zwanzig Jahren wiedergetroffen, und zwar auf einem Campingplatz in der Nähe von Brisbane in Australien. Und als wir vor drei Jahren in Vancouver in einem vietnamesischen Restaurant saßen, setzte sich Franks alter Volleyballtrainer an den Nachbartisch.
»Wie ist die Welt doch klein«, hat mein Vater schon immer gesagt, und das ist mir, ganz ehrlich, richtig unheimlich.
Manchmal mag es ja lustig sein, dass einem ausgerechnet im Urlaub jemand über den Weg läuft, den man schon Jahre nicht mehr gesehen hat, aber manchmal ist es auch echt lästig. Oder peinlich. Oder mysteriös. Oder, wie im Falle von Frau Schachtmann, alles auf einmal. Mysteriös war, dass ich Frau Schachtmann, die mit meiner Mutter Tennis spielte und eine Tochter, Silke, in meinem Alter hatte, nicht nur einmal im Urlaub getroffen habe, sondern mittlerweile sogar sechsmal.
Ich traf sie gleich nach dem Abitur in Arosa im Sessellift, wo sie mir erzählte, dass Silke in Florenz Architektur studierte und mich fragte, ob ich zugenommen hätte. Ich traf sie in einem Eiscafé am Lago Maggiore, wo sie mir erzählte, dass Silke mit einem Architekten verlobt sei undmich fragte, ob ich zugenommen hätte. Ich traf sie in einer Boutique in Positano, wo sie mir erzählte, dass Silke mit dem Architekten eine Eigentumswohnung gekauft hatte und mich fragte, ob ich zugenommen hätte.
Allmählich hatte ich es satt, Frau Schachtmann zu treffen. Ich gewöhnte mir an, im Urlaub Kopftücher und Sonnenbrillen zu tragen. Auch als ich mit Bono, meinem Exfreund, in Paris unterwegs war.
Wir machten, was ich am liebsten mache, wenn ich in Paris bin: durch die Gegend laufen. Wir schlenderten durch das Marais, fotografierten Gaukler im Jardin du Luxembourg und marschierten die Rue Mufftard auf und ab, bis ich mich entschieden hatte, welche Art von belegtem Baguette ich denn nun nehmen wollte. Am dritten Tag vertraute Bono mir an, dass er von meinem Programm ein wenig enttäuscht sei. Er sagte, er habe sich doch mehr typisch pariserische Sehenswürdigkeiten erhofft.
»Jetzt sag bloß, du willst auf den Eiffelturm«, sagte ich verächtlich.
»Ja«, sagte Bono. »Und dann will ich unbedingt noch die Bastille sehen.«
Da ich unter Höhenangst leide, musste Bono allein auf den Eiffelturm, aber zur Bastille fuhr ich anschließend mit. Sie hatte eine eigene U-Bahn-Station, aber als wir dort ausstiegen und uns umsahen, konnten wir leider weit und breit keine beeindruckende Festung sehen, nur eine weit weniger beeindruckende Siegessäule.
»Aber sie muss doch hier irgendwo sein«, sagte Bono. »Ich rieche förmlich das Blut, das für die Revolution vergossen wurde … Komm, wir fragen mal jemanden.«
Und Bono wandte sich an den ersten Passanten, den er finden konnte. Dieser Passant war – Frau Schachtmann.
»Nein so was!«, rief sie, als sie mich trotz Sonnenbrille erkannt hatte. »Was machst du denn hier?«
»Wir suchen die Bastille«, erklärte Bono.
»Die Bastille?«, rief Frau Schachtmann. »Hier ist die Place du Bastille.«
»Ja, aber wo ist die Bastille? Das berühmte Staatsgefängnis«, fragte Bono.
Frau Schachtmann fing an zu lachen. Die Bastille, sagte sie, sei 1789 vollständig abgetragen worden. Es gäbe nur diese Siegessäule, die noch an die Festung erinnerte.
Ich sah Bono böse an. Warum hatte er das nicht gewusst? Und warum hatte er von allen Menschen in Paris ausgerechnet diesen einen ansprechen
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