Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2
Kapadokiophobie
oder die Angst nicht zu wissen, wohin man eigentlich fährt
Die Menschen beurteilen einen nicht nur nach seinem Schuhwerk, der Frisur, dem Auto oder der Farbe der Haustür, sondern – und da sollte man sich nichts vormachen – auch nach der Art und Weise, in der man seine Ferien zu verbringen pflegt.
Wenn man kein befremdetes Naserümpfen ernten will, sollte man sich in gewissen Kreisen mit Sätzen wie: »Wir fahren wieder mit Neckermann nach Cala Ratjada« oder »zu Hause ist es sowieso am schönsten« eher zurückhalten.
Besser ist es, man besteigt den Kilimandscharo und macht anschließend noch eine Woche Badeurlaub auf Sansibar. Wenn man sich traut.
Oder man macht es wie Insa.
»Achim und ich kommen gerade aus West-Transdanubien«, sagt Insa. »Eine ganz großartige, vielfältige Landschaft, wunderbare Menschen, beeindruckende Kultur.«
»Oh, das klingt ja toll«, sage ich. Ich könnte Insa jetzt fragen, wo West-Transdanubien liegt, möchte mir aber nur ungern eine Blöße geben. Also wende ich einen alten Trick an: »Wo genau wart ihr denn in West-Transdanubien?«
»Oh, wir haben jede Nacht in einem anderen Hotel oder einer Pension geschlafen, um auch wirklich jedes Eckchendes Landes zu erkunden.« Insa streicht sich mit der Hand eine Haarsträhne hinters Ohr. »Achim und ich mögen es gern authentisch, weißt du? Jetzt kennen wir es wie unsere Westentasche und haben sogar Freunde gewonnen, die uns im nächsten Frühjahr hier in Deutschland besuchen kommen. Wir bringen uns gegenseitig unsere Muttersprachen bei.«
Und was heißt blöde Angeberin auf Westtransdanubisch?, möchte ich gerne fragen, halte aber den Mund, weil ich mich schäme, dass wir es im Urlaub nie schaffen, Freundschaften zu schließen. Wenn man mal von Jana und Mark Niemeyer aus Wanne-Eickel absieht, mit denen wir in Edinburgh drei Stunden in einem Fahrstuhl festsaßen. Da Mark zwei Flaschen schottischen Whisky dabeihatte, die eigentlich als Mitbringsel für zu Hause gedacht waren, fiel uns das Freundschaftschließen ausnahmsweise mal leicht.
Insa schwärmt noch ein Weilchen von West-Transdanubien, ohne dass ich auch nur eine ungefähre Vorstellung davon bekomme, wo es liegen könnte. Dann fragt sie unvermittelt, ob ich schon mal in Kapadokien gewesen sei.
Ich fühle mich ein wenig in die Enge gedrängt. »Ich glaube nicht«, murmele ich.
Insa sagt, dass man aber mal in Kapadokien gewesen sein sollte. Und ob ich nicht Lust hätte, bei der Busreise, die sie im Spätsommer organisiere, mitzufahren.
»Nach Kapi… Kapa… Ko… – zien?«
»Genau«, sagt Insa. »Wir erkunden vierzehn Tage lang die Schönheit Kapadokiens und widmen uns ganz dem Kennenlernen von Land und Leuten. Na, was sagst du?«
Ich sage, dass es mir sehr leid täte, aber wir hätten denganzen Sommer urlaubstechnisch schon verplant. Falls sie fragen sollte, welche Pläne wir hegen, werde ich den Kilimandscharo und Sansibar ins Feld führen. Soll sie mir doch erst mal das Gegenteil nachweisen.
Aber Insa fragt gar nicht. Sie bedauert nur, dass ich nicht das Vergnügen haben werde, Kapadokien kennen zu lernen. Allein die wunderbaren Teppichmanufakturen, die ich verpassen würde. Zumal sie, Insa, dort einmalige Sonderrabatte für die Mitglieder der Reisegruppe ausgehandelt habe und nichts einen Haushalt mehr bereichern würde als ein handgeknüpfter Teppich aus Kapadokien.
Ich sage Insa, dass ich schon genug Probleme damit hätte, einen Platz für die hässlichen Perserteppiche meiner Schwiegereltern zu finden, und dass das Letzte, was ich wollte, ein weiterer Teppich sei, wo sie doch im Vorratskeller schon übereinanderliegen müssten. Da lacht Insa und sagt, dass man persische Teppichknüpfkunst keinesfalls mit kapadokischer Teppichknüpfkunst in einen Topf werfen dürfe, dazwischen lägen nun wahrlich Welten.
Zu Hause stürze ich mich sofort auf den Atlas, um meine Bildungslücken zu schließen. Seit wir Insa kennen, schauen wir viel öfter in unseren Atlas als früher. Kapadokien liegt in der Türkei, aha. Inwieweit sich die kapadokischen Teppiche von den Perserteppichen meiner Schwiegereltern unterscheiden, steht dort natürlich nicht.
Auch West-Transdanubien kann ich nicht finden. Vermutlich, weil ich nicht annähernd weiß, wo ich suchen muss.
»Warum machen wir eigentlich nie Urlaub in West-Transdanubien?«, frage ich meinen Mann.
»Warum sollten wir?«, fragt mein Mann zurück. »Achimmusste da erst letzte Woche geschäftlich hin und
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