Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 3
bot. Das Schlafzimmer, das meine Schwester und ich bezogen, war größer als unsere Zimmer zu Hause, und es hatte ein breites Himmelbett mit weiß geblümten Vorhängen, dessen Anblick mich vor Entzücken aufquieken ließ. Und erst die Aussicht!
Schneeweißchen und Rosenrot wollten hier auf keinen Fall wieder weg.
Im Zimmer meiner Eltern gab es heftige Diskussionen, wenn auch nur geflüsterte.
»Wir sagen, deine Mutter wäre krank, und wir müssten wieder abreisen!«, flüsterte meine Mutter.
»Das könnte dir so passen!«, flüsterte mein Vater.
»Von mir aus nehmen wir auch meine Mutter«, flüsterte meine Mutter. »Wir können unmöglich hierbleiben. Mit diesen Ozelotmördern unter einem Dach.«
»Es ist Sommer, da trägt sie keinen Pelz«, flüsterte mein Vater. »Kannst du dich denn nicht einfach mit der Situation arrangieren? Schon der Kinder zuliebe?«
»Ja, bitte, Mama«, flüsterten meine Schwester und ich. Der Pool war ungelogen vierzehn Meter lang. »Uns zuliebe.«
»Du kannst nicht so egoistisch sein«, sagte mein Vater.
»Na gut«, sagte meine Mutter. »Auch wenn ich dadurch zum Verräter an den armen Tieren werde.«
Zunächst ging alles gut. Meine Schwester, Sabine und ich verstanden uns prächtig, der Pool war herrlich, das Wetter wunderbar, und meine Eltern und die Kahls spielten auf dem hauseigenen Tennisplatz gemischte Doppel. Die Ausflügenach Florenz und Siena waren selbst für uns Kinder hochinteressant, zumal sich herausstellte, dass Frau Kahl sehr belesen war und eine Menge pikante Dinge über das Leben der »Mödötschö« zu berichten wusste, lauter Dinge, die nicht im Reiseführer standen.
Selbst die gemeinsamen Abendessen liefen entspannt ab, was nicht zuletzt am vielen italienischen Rotwein lag, den die Erwachsenen konsumierten. Mein Vater passte höllisch auf, dass niemand etwas sagte, das die gute Stimmung trüben konnte. Er war ein Meister im Themenwechseln. Kam das Gespräch zum Beispiel auf Tiere im Allgemeinen, regte er mit einem Umweg über die Gemsen eine Diskussion über den Rückgang der Alpengletscher an, damit das Gespräch nicht etwa von den Tieren im Allgemeinen zu Pelztieren im Besonderen abrutschen konnte.
Meistens unterhielten sie sich aber sowieso über andere Dinge.
Selbst meine Mutter musste sich ab und zu mit Gewalt die toten Ozelots ins Gedächtnis rufen, um meinen Vater daran erinnern zu können, sich bloß nicht wegen der Vertriebsleiterstelle bei ACTI weich klopfen zu lassen.
Frau Kahl bestand darauf, jeden Abend zu kochen, weil es ihr eine »Rösönfreudö« war. Diese Freude wollten wir ihr natürlich nicht verderben. Für Sabine kochte Frau Kahl Brigitte-Diät. Aber die half nichts.
Seit unserem letzten Besuch war Sabine noch um einiges dicker geworden, und das bekümmerte Frau Kahl sehr. Sie konnte es sich einfach nicht erklären – die Gene konnten es schon mal nicht sein, denn alle in der Familie Kahl waren schlank.
Sabine selber schaute immer peinlich berührt auf ihren Teller, wenn über ihre Figur gesprochen wurde. Sie aß wirklich nicht besonders viel, und was sie aß, war gesund und kalorienarm, weswegen ich Frau Kahls Besorgnis durchaus verstehen konnte. Sie sagte, nach den Ferien müsse sie mit Sabine zum Arzt, um ihre Schilddrüse untersuchen zu lassen. Und wenn damit alles in Ordnung wäre, müsse das Mädchen eben zu einer Abmagerungskur geschickt werden, da dürften keine Kosten gescheut werden. Ein dickes Mädchen sei immer auch ein unglückliches Mädchen.
Weil Sabine das Thema offensichtlich unangenehm war, wechselte mein Vater es freundlicherweise, indem er alle Anwesenden auf den wunderbaren Sternenhimmel samt Sternschnuppen hinwies und nach unseren Träumen und Wünschen fragte.
Er selber, sagte er, wünsche sich noch viele solch schöne Urlaube wie diesen.
Meine Mutter sagte, sie träume von einer Welt ohne Kriege.
Ich sagte, dass ich von genau so einem Himmelbett träumte, wie es in unserem Zimmer stand.
Meine Schwester wünschte sich, dass meine Mutter niemals herausfand, dass meine Schwester den Blauen Brief von der Schule abgefangen und die Unterschrift gefälscht hatte. Aber das sagte sie nicht laut.
Dr. Kahl sagte, er träume davon, dass ACTI Marktführer werde, was mit dem richtigen Vertriebsleiter durchaus gelingen könne. An dieser Stelle warf er meinem Vater einen schmachtenden Blick zu.
Sabine sagte, sie wünsche sich mehr Verständnis unter den Menschen.
Und dann war Frau Kahl an der Reihe. Sie sagte, sie
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