Die Zeitdetektive 03 - Das Grab des Dschingis Khan
Die Geheime Geschichte
Die Geheime Geschichte
Es waren tausende. Versteckt hinter Bäumen, unsichtbar für den Feind. Die Bögen gespannt, die Krummsäbel gezückt. Sie waren bereit für die Schlacht, bereit zu kämpfen, bereit zu sterben – für den Traum von einem Weltreich, der sie hinter einem Mann vereinte, den sie den ozeangleichen Herrscher nannten.
Dschingis Khan saß auf seinem Wallach, verborgen von einem hohen dichten Busch. Sein Gesicht war wie eine starre Maske. Die Augen hatte er auf den schlammigen Weg gerichtet, der zwischen zwei Felsen durch den Wald führte. Ein Engpass, eine Falle. Augenblicklich musste der Feind heranstürmen, der eine Hundertschaft von Dschingis Khans Männern verfolgte, deren Aufgabe es gewesen war, den zahlenmäßig weit überlegenen Feind in den Hinterhalt zu locken.
Leises Pferdegetrappel, erst nur für geübte Ohren zu hören, dann immer lauter. Sie kamen! Der Wallach des Khans begann, unruhig auf der Stelle zu tänzeln. Schreie wurden laut. Die ersten Reiter hetzten, tief gebeugt über ihre Pferde, durch den Engpass: Es waren die Reiter des Khans, die jetzt im Schutz des Waldes verschwanden.
Das war der Moment, in dem der Khan seinem Pferd ein knappes Kommando gab. Mit einem Satz war der Wallach auf dem schmalen Weg. Der Khan blickte dem Feind entgegen, der auf ihn zustob. Dann hob er die Faust in den Himmel, wo sein höchster Gott, der Köke Tngri , wohnte. Auf dem Gesicht des Khans lag ein merkwürdiger Fieberglanz. Ungezügelte Wut und kalte Entschlossenheit waren in seinen blaugrauen Augen zu erkennen. Und da war noch etwas: Besessenheit. Ein Feuer brannte in diesen Augen, das alles vernichten würde, das sich dem Khan in den Weg zu stellen wagte. Ein markerschütternder Schrei kam aus der Kehle des Khans. Auf dieses Kommando hin schien es, als bekäme der Wald Beine. Von allen Seiten stürzten sich die Soldaten des Khans auf den überraschten Feind. Das schrille Lachen des Herrschers übertönte den Lärm der Schlacht.
„Diese Welt gehört mir!“, brüllte Dschingis Khan. „Denn ich bin die Welt!“
Kim fuhr in ihrem Bett hoch. Sie blickte in Kijas weit aufgerissene Augen. Die Katze fauchte leise. Ungeduld lag in ihrem Blick. Kims schnelle Bewegung hatte sie aufgeschreckt.
„Was ist, warum …“ Atemlos schaute Kim auf die Uhr. Gleich war es zwei Uhr morgens. Das Mädchen schloss die Augen und ließ sich in die Kissen zurücksinken. Nur ein Traum …
Bis kurz vor Mitternacht hatte Kim gestern noch in der Zeitschrift „National Geographic“ einen Bericht über Dschingis Khan gelesen. Kim begann, die Katze hinter den Ohren zu kraulen. Kija kuschelte sich wieder schnurrend neben das Mädchen.
Die Reportage hatte sich mit der raffinierten Kriegstaktik des gefürchteten Mongolenherrschers befasst, aber auch damit, dass bis heute noch niemand das Grab des Khans gefunden hat. Über 100 Expeditionen hat es bisher gegeben, aber niemandem ist es gelungen, das Geheimnis um das Grab mit seinem sagenumwobenen Schatz zu lüften.
Seltsam, dachte Kim, sehr seltsam. Ihre Neugier war geweckt. Der Bericht hatte sie bis in den Schlaf verfolgt. Komisch nur, dass auch Kija so unruhig war. Aber Kim hatte es sich längst abgewöhnt, das mitunter rätselhafte Verhalten des klugen Tieres zu deuten.
Wie Leon und Julian wohl über den Fall denken würden?, überlegte Kim und lächelte vor sich hin. Garantiert würde die Sache die beiden genauso faszinieren wie sie selbst. Noch heute würde sie ihren Freunden von der Reportage berichten. Sie gähnte. Hatte in der Reportage nicht ein Hinweis auf die „Geheime Geschichte“ gestanden, einen zeitgenössischen Bericht über das Leben des Khans? Darin könnte es Anhaltspunkte geben, wo das Grab liegt, hoffte Kim. Vielleicht gab es ja in der alten Bibliothek den kompletten Text der „Geheimen Geschichte“ …
„Die ‚Geheime Geschichte‘? Klingt ziemlich gut“, sagte Leon. Mit Julian, Kim und Kija lief er nach der Schule durch die Gassen der Altstadt von Siebenthann. Der Weg zum Bartholomäus-Kloster führte leicht bergauf. Dort war die alte Bibliothek untergebracht.
„Aber wenn die Geschichte so geheim ist, wird sie vermutlich nicht öffentlich zugänglich sein“, gab Leon zu bedenken.
„Abwarten“, rief Kim Leon zu und beschleunigte ihre Schritte. Die Katze sprang in großen Sätzen neben ihr her. Ihr graziler Körper verriet eine nervöse Anspannung.
„Richtig“, stimmte Julian Kim zu. „Es kommt auf einen
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