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Adieu (German Edition)

Adieu (German Edition)

Titel: Adieu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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floß in einen Traum zusammen. Ein peinlicher Gedanke erschreckte Philipp. »Wir werden alle sterben, wenn ich einschlafe; ich will nicht schlafen,« sagte er sich. Aber er schlief. Ein schrecklicher Lärm und eine Explosion erweckten Herrn de Sucy nach einer Stunde Schlaf. Das Gefühl, seine Pflicht tun zu müssen, die Gefahr seiner Freunde fielen ihm plötzlich schwer aufs Herz. Er stieß einen Schrei ähnlich einem Geheul aus. Er und sein Soldat standen allein aufrecht. Sie erblickten ein Feuermeer vor sich, das im Schatten der Nacht vor ihnen eine Masse Menschen abschnitt, indem es die Hütten und Zelte verzehrte; sie hörten Verzweiflungsschreie und Geheul; sie sahen Tausende von entsetzten Gesichtern und wütenden Köpfen. Inmitten dieser Hölle bahnte sich eine Kolonne von Soldaten einen Weg nach der Brücke zu zwischen zwei Reihen von Kadavern hindurch.
    »Das ist der Rückzug unsres Nachtrabs!« rief der Major. »Keine Hoffnung mehr!«
    »Ich habe Ihren Wagen geschont, Philipp,« sagte eine Freundesstimme.
    Als er sich umwandte, erkannte Sucy beim Licht der Flammen den jungen Adjutanten.
    »Ach, es ist alles verloren!« erwiderte der Major. »Sie haben mein Pferd verzehrt. Und wie soll ich auch den stumpfsinnigen General und seine Frau auf den Weg bringen?«
    »Nehmen Sie einen Feuerbrand und drohen Sie ihnen.«
    »Soll ich die Gräfin bedrohen?«
    »Adieu!« rief der Adjutant. »Ich habe gerade nur noch Zeit, diesen fatalen Fluß zu überschreiten, und das muß geschehen. Ich habe eine Mutter in Frankreich. Was für eine Nacht! Diese Masse hier will lieber auf dem Schnee bleiben, und die Mehrzahl dieser Unglücklichen will sich lieber verbrennen lassen als sich erheben. Es ist vier Uhr, Philipp! In zwei Stunden werden die Russen anfangen sich zu rühren. Ich versichere Ihnen, daß Sie die Beresina bald voller Leichname sehen werden. Denken Sie an sich, Philipp! Sie haben keine Pferde, Sie können die Gräfin nicht tragen; also vorwärts, kommen Sie mit mir,« sagte er und faßte ihn am Arme.
    »Aber, lieber Freund, wie soll ich Stephanie verlassen!«
    Der Major ergriff die Gräfin, stellte sie auf die Beine, schüttelte sie mit der Rauheit eines Verzweifelten und zwang sie, aufzuwachen; sie sah ihn mit totem, starrem Blicke an.
    ›Wir müssen vorwärts, Stephanie, oder wir sterben hier.‹
    Als alle Antwort versuchte die Gräfin, sich zur Erde gleiten zu lassen, um zu schlafen. Der Adjutant ergriff einen Feuerbrand und bewegte ihn vor dem Gesicht Stephanies hin und her.
    ›Retten wir sie gegen ihren Willen!‹ rief Philipp, hob die Gräfin auf und trug sie in den Wagen.
    Er kehrte zurück und bat den Adjutanten um Hilfe. Beide nahmen den alten General, ohne zu wissen, ob er tot oder lebendig war, und legten ihn neben seine Frau. Der Major stieß mit dem Fuße jeden einzelnen der auf der Erde liegenden Leute weg, nahm ihnen ab, was sie geraubt hatten, häufte alle Kleider auf die beiden Gatten und warf in eine Ecke des Wagens etliche gebratene Stücke ihres Pferdes. ›Was wollen Sie denn machen?‹ fragte ihn der Adjutant.
    ›Sie schleppen‹, sagte der Major.
    ›Sie sind wohl toll!‹
    ›Das ist wahr!‹ rief Philipp und kreuzte die Arme über der Brust.
    Plötzlich schien er von einem verzweifelten Gedanken gepackt zu sein.
    ›Du!‹, sagte er und ergriff den gesunden Arm seines Soldaten, ›ich vertraue sie dir für eine Stunde an! Denke daran, daß du eher sterben mußt, als, wer es auch sei, an den Wagen herankommen lassen darfst.‹ Der Major bemächtigte sich der Diamanten der Gräfin, nahm sie in die eine Hand, zog mit der andern den Säbel und begann wütend auf die Schläfer loszuschlagen, die er für die unerschrockensten hielt, und es gelang ihm auch, den kolossalen Grenadier und noch zwei andere Männer, deren militärischer Rang unmöglich zu erkennen war, aufzuwecken.
    »Wir sind verloren«, sagte er zu ihnen.
    »Das weiß ich wohl,« antwortete der Grenadier, »aber das ist mir egal.«
    »Nun also, so oder so tot, ist es nicht besser, sein Leben für eine hübsche Frau zu verkaufen, auf die Gefahr hin, Frankreich noch einmal wiederzusehen?«
    »Ich will lieber schlafen,« sagte einer von den Leuten und rollte auf den Schnee, »und wenn du mich weiter belästigst, Major, werde ich dir mein Bajonett in die Wampe pflanzen.«
    »Worum handelt es sich, Herr Major?«, fragte der Grenadier. »Der Kerl ist betrunken! Das ist ein Pariser; die wollen es bequem haben.«
    »Das hier ist für dich,

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