Und abends etwas Liebe
1
Ein
Supermarkt! Komische Bezeichnung für einen Laden in unserem kleinen Ort. In
einer Großstadt, ja, aber doch nicht hier bei uns. Warum nennt man ihn nicht
einfach Kaufhaus, und damit hätte sich die ganze Geschichte?
Typisch
für Paul, so zu denken. Er mochte den sogenannten Fortschritt nicht, trauerte
den guten, alten Zeiten nach und dergleichen mehr. Und es konnte kaum
überraschen, daß Sam sich dieser Meinung sofort anschloß.
»Supermarkt
in Riesenlettern! Dabei ist dieser protzige Palast doch nichts weiter als ein Haufen
von Chrom und Glas. Dazu nimmt eine große Tiefkühlabteilung auch noch den
meisten Platz weg. Und der Boss gibt überall damit an. Weiß der liebe Himmel,
was uns noch alles bevorsteht!«
Larry
nahm das Ganze mehr von der praktischen Seite. »Mir ist ziemlich gleich, wie
sie den Laden nennen, und von mir aus können sie Dutzende von Tiefkühltruhen
aufstellen, wenn es ihnen Spaß macht. Tantchen ist es, die mir Kummer macht!«
Ich
kannte Miss Adams, oder »Tantchen«, wie ihre treuesten Stammkunden sie nannten,
schon acht Jahre. Es war das erstemal während dieser langen Zeit, daß sie
jemandem Anlaß dazu gab, sich zu sorgen. Vielmehr waren wir es gewesen, die ihr
schon oft Kummer bereitet hatten. Umsichtig und zuverlässig, und ganz im
Gegensatz zu dem Spitznamen, der ihr anhing, hatte sie nie jemandem auch nur
für einen Augenblick lang Kummer bereitet. Sie war der ruhende Pol in dem Leben
unserer kleinen Gemeinde, und alles andere als etwa das dickliche,
geschwätzige, schlampige Tantchen, das einen Kramladen betreibt und neugierig
jede Postkarte liest, die ihm in die Finger fällt. Nein, ganz im Gegenteil...
freundlich, immer hilfsbereit und klug, war sie eigentlich unser bester Freund.
Kaum zu begreifen, daß gerade diese fähige Geschäftsfrau uns plötzlich Sorgen machen
würde. Aber genau so war es.
Nicht
etwa, daß sie an einer heimtückischen Krankheit litt. Es handelte sich einfach
darum, daß in Tiri ein riesiges, sehr aufwendig ausgestattetes
Konkurrenzgeschäft eröffnet worden war, das sich Supermarkt nannte. Und wir
fürchteten um Miss Adams’ Geschäft.
Ich
wehrte mich gegen diese Vorstellung. »Niemand würde auf die Idee kommen, nicht
mehr bei ihr zu kaufen... nur weil irgend jemand so unverschämt war, direkt
gegenüber von Tantchens Laden einen Supermarkt zu eröffnen.«
Wenn
schon ein Supermarkt, dann bitte am richtigen Ort. In der nächsten Stadt
bummeln wir gerne durch diese Paläste und kaufen eine Menge Dinge, die wir
eigentlich gar nicht brauchen, weil sie als Sonderangebote angepriesen werden.
Aber in Tiri legten wir einfach keinen Wert auf einen Supermarkt, der Tantchen
ihre Geschäfte erschweren und neu zugezogene Kunden weglocken würde, die die
Vorzüge unserer Freundin nie schätzengelernt hatten. Nicht zuletzt bedeutete
die Bezeichnung Supermarkt für unseren kleinen Ort eine gräßliche Neuerung.
Pikiert
fuhr Sam fort: »Erst gestern traf ich diesen Burschen Freeman, der den neuen
Laden leitet. Er hatte doch tatsächlich die Nerven, mich vor Tantchens Laden
anzusprechen. Er sagte, er würde sich freuen, auch mich zu seinen Kunden zählen
zu dürfen. Ich sagte ihm klipp und klar, da wäre für ihn nichts drin, aber er
schwätzte von den vielen Dingen, die es in seinem Laden zu kaufen gebe, von all
den Dingen, die meine Frau und ich uns jemals erträumen könnten. Schön
übersichtlich ausgestellt und ausnahmslos mit gut lesbaren Preisen
ausgezeichnet. Dann stieß er mich buchstäblich in die Rippen und grinste mich
an: >Jede Menge Rindfleisch im Tiefkühlfach, sauber verpackt. Ein nettes
kleines Steak ist doch einmal eine angenehme Abwechslung an Stelle des ewigen
Einerleis von Hammelfleisch, oder?<«
»Widerlicher
Kerl«, sagte Larry so heftig, daß ich sofort wußte — auch sie machte sich
Sorgen. Dann meinte sie mit einem hoffnungsvollen Unterton: »Vielleicht stellt
sich Tantchen auch auf Tiefkühlkost um. Schließlich bieten heutzutage die
meisten Geschäfte auf dem Lande diese Möglichkeit. Rohteig, tiefgefrorene
Erbsen und sogar Fisch. So praktisch.«
Dann
aber, unter dem Druck der Augen ihrer besseren Hälfte, die sie kalt und fragend
musterten, fügte sie hastig hinzu: »Obwohl man natürlich durchaus auch ohne
Tiefkühlkost leben kann!«
»Ohne?«
wiederholte Paul. »Ich bin da ganz anderer Meinung. Wer hätte denn überhaupt
vor zehn Jahren an diese Möglichkeit gedacht? Aber heute betrachtet man doch
sogar hier bei uns das
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