Adieu (German Edition)
meinen Platz haben? Ich pfeife aufs Leben« , rief der Grenadier. »Ich habe weder Frau, noch Kind, noch Mutter.«
»Ich vertraue sie dir an« , rief der Major und zeigte auf den Grafen und seine Frau.
»Seien Sie beruhigt, ich werde sie wie meinen Augapfel hüten.«
Das Floß wurde mit solcher Gewalt an das Ufer gestoßen, das der Stelle, wo Philipp unbeweglich stand, gegenüber war, daß sein Stoß an die Erde alles erschütterte. Der an Bord befindliche Graf rollte in den Fluß. Als er hineinfiel, schlug ihm eine Eisscholle auf den Kopf und trieb ihn wie eine Kugel weit weg.
»He! Major!« schrie der Grenadier.
»Adieu!« rief eine Frauenstimme.
Und Philipp de Sucy fiel vor Schreck erstarrt nieder, überwältigt von der Kälte, dem Schmerz und der Müdigkeit.
*
»Meine arme Nichte war irrsinnig geworden«, fügte der Arzt nach einer kurzen Pause hinzu. » Ach, mein Herr«, fuhr er fort und ergriff Herrn d'Albons Hand, »wie entsetzlich wurde das Leben für diese kleine, so junge, so zarte Frau! Nachdem sie infolge eines unglaublichen Mißgeschicks von dem Gardegrenadier, einem gewissen Fleuriot, getrennt worden war, wurde sie zwei Jahre hindurch hinter der Armee hergeschleppt, als Spielzeug eines Haufens von Elenden. Man hat mir erzählt, daß sie mit bloßen Füßen, schlecht bekleidet, ganze Monate hindurch ohne Pflege, ohne Nahrung blieb; bald in Krankenhäusern gehalten, bald wie ein Tier weggejagt; Gott allein weiss, wieviel Unglück diese Unselige dennoch überlebt hat! Sie befand sich in einer kleinen deutschen Stadt, mit Irrsinnigen zusammengesperrt, während ihre Verwandten, die sie für tot hielten, ihre Erbschaft teilten. Im Jahre 1816 erkannte sie der Grenadier Fleuriot in einer Straßburger Herberge, wo sie angelangt war, nachdem sie eben aus ihrem Gefängnis entwichen war. Einige Bauern erzählten dem Grenadier, daß die Gräfin einen ganzen Monat in einem Walde gelebt hätte und daß sie nach ihr gejagt hätten, um sich ihrer habhaft zu machen und zu ihr gelangen zu können. Ich befand mich damals wenige Meilen von Straßburg entfernt. Als ich von einem wilden Mädchen reden hörte, hatte ich den Wunsch, die ungewöhnlichen Tatsachen festzustellen, die Grund zu so lächerlichen Erzählungen gaben. Wie wurde mir, als ich die Gräfin wiedererkannte! Fleuriot berichtete mir alles, was er von dieser traurigen Geschichte wußte. Ich nahm diesen armen Menschen mit meiner Nichte nach der Auvergne mit, wo ich das Unglück hatte, ihn zu verlieren. Er hatte ein wenig Herrschaft über Frau von Vandières. Er allein konnte bei ihr erreichen, daß sie sich ankleidete. ›Adieu!‹ , dieses Wort, worin ihr ganzes Sprechen bestand, sagte sie früher nur seiten. Fleuriot hatte es unternommen, einige Gedanken in ihr wieder zu erwecken; aber er war nicht weitergekommen, er hatte sie nur dazu gebracht, dieses traurige Wort etwas häufiger auszusprechen. Der Grenadier verstand sie zu zerstreuen und zu beschäftigen, indem er mit ihr spielte, und auf seine Kunst hoffte ich, aber ...«
Der Onkel Stephanies schwieg einen Augenblick. »Hier«, fuhr er fort, »hat sie ein anderes Wesen gefunden, mit dem sie sich zu verstehen scheint. Das ist eine idiotische Bäuerin, die trotz ihrer Häßlichkeit und Stumpfsinnigkeit einen Maurer geliebt hat. Dieser Maurer wollte sie heiraten, weil sie einige Morgen Land besitzt. Die arme Genovefa war während eines Jahres das glücklichste Geschöpf der Welt. Sie putzte sich und ging Sonntags mit Dallot tanzen; sie verstand sich auf die Liebe; es fand sich in ihrem Herzen und in ihrem Geiste Platz für ein solches Gefühl. Aber Dallot stellte seine Überlegungen an. Er fand ein junges Mädchen, das seinen gesunden Verstand und zwei Morgen Land mehr besaß als Genovefa. Da hat Dallot Genovefa stehen gelassen. Das arme Geschöpf verlor das bißchen Intelligenz, das die Liebe bei ihr entwickelt hatte, und versteht sich nun nur noch auf Kühe hüten und Gras schneiden. Meine Nichte und dieses arme Mädchen sind gewissermaßen durch die unsichtbare Kette eines gemeinsamen Geschicks aneinander gebunden und durch das Gefühl, das ihren Irrsinn veranlaßt hat. Hier, sehen Sie«, sagte Stephanies Onkel und führte den Marquis d'Albon ans Fenster.
Der Richter bemerkte jetzt in der Tat die hübsche Gräfin auf der Erde zwischen den Beinen Genovefas sitzend; die mit einem riesigen knöchernen Kamm bewaffnete Bäuerin wendete viel Sorgsamkeit darauf, das lange schwarze Haar Stephanies
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